Kein Hannibal.von Alexander | Permalink |
Ein ruhiger, langsamer und sehr langer Film, mit stellenweise visuell betörenden Bildern, der in Stil und Erzählweise manchmal den langsamen, düsteren Noir-Meisterwerken längst vergangener Zeiten ähnelt. Der Protagonist: Carlos, ein leise auftretender, sehr kultivierter spanischer Gentlemen der Schneider-Gilde mit einer mehr als offensichtlichen Schwäche für Menschenfleisch und einem ansehnlichen Vorrat desgleichen im Kühlschrank. Man erwartet hier selbstverständlich kein Effekt-heischendes Menschenfresser-Werk à la „Green Inferno", welcher von „Cannibal" so viele Lichtjahre entfernt sein dürfte wie „Star Wars" von „Under The Skin". Das selten aufblitzende Grauen rührt ausschließlich von der verstörenden Selbstverständlichkeit mit dem ein wohlsituierter Mann aus der Mitte der Gesellschaft seinem Trieb nachgeht, und niemals von explizit dargestellten Gewaltexzessen. Trotz betörender Bilder und einer erfrischend antikommerziellen Erzählstruktur fehlte es mir zunächst dennoch an Spannung und Faszination. So stimmungsvoll „Cannibal" mit seinen leisen, wortkargen und subtilen Szenen auch sein mag, der Film vermochte es am Anfang nicht wirklich mich in seinen Bann zu ziehen. Der langsam aufkeimenden erotischen Grundstimmung, den wunderbaren Darstellern und vielleicht auch der Tatsache, daß ich Filme aus Spanien grundsätzlich liebe, mag es zu verdanken sein, daß ich irgendwann trotzdem am Haken hing. Ein Hannibal Lecter auf Slow Motion. | |
Alexander | 19.07.2014, 23:09 |
20th Century Spanish Cannibal.von meiklsan | Permalink |
Auch hier kann ich mich eigentlich nur dem Review von Alexander anschließen. Wir sollten vielleicht Filmfreunde werden, denn wir ticken scheinbar ähnlich, grins? First of all und wichtig für alle Kannibalen-Film-Freunde unter uns: Dieser spanische Kannibalen-Film hat definitiv nichts mit all der vielleicht bisher gesehenen Kannibalen-Kost zu tun! Nein, kein „Cannibal Holocaust" aus den 80ern. Nein, kein psychopathischer Hannibal (the Cannibal) Lector Serienkiller. Nein, kein Adrian Dora Indie Cannibal Tagebuch. Nein und niemals nicht ein Eli Roths Green Inferno. Am ehesten noch ein realer Kannibale von Rothenburg. Canibal 2013 ist vielmehr eine dieser wundervoll inszenierten tiefgründigen unscheinbaren unvorhersehbaren spanischen „Peliculas", die uns Jahr für Jahr aufs Feinste am FFF präsentiert werden wie z.B.: „La cara oculta" aka „The Hidden Face" oder „El cuerpo" aka „The Body" mit überraschendem Twist! Allerdings dürfte der diesjährige Beitrag zu diesem Thema wirklich der schleppendste und langwierigste Beitrag aus dieser Gattung sein! Für Vielseher besteht am Festival definitiv Einschlafgefahr, denn dieser Pseudo-Kannibalen-Film lässt es in den ersten 60 Minuten wirklich sehr ruhig und gemächlich angehen und erzählt uns dabei fast beiläufig nur die Geschichte eines bodenständigen Schneiders, der sich aus nicht erklärten Gründen einfach nur von Menschenfleisch ernährt, als wäre es das Normalste dieser Welt und weil es ihm schmeckt! Ähnlich wie von Alexander beschrieben packt uns dieser Film aber trotzdem noch rechtzeitig vor dem Einschlafen und rettet uns über die gefühlten 2 Stunden Einschlafpotential mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die das Kannibalen-Genre quasi auf den Kopf stellt. Ich war nach Sichtung des Filmes doch froh, dass ich die enormen Längen ertragen habe und kann diesen in ein fiktives Setting eingebundenen Film zwar empfehlen, denn er repräsentiert diese scheinbar aktuelle reale Thematik (Rothenburg) in einem ganz anderen Licht, kann die Thematik aber nicht unterstützen. Auch wenn ich den Film als insgesamt sehr interessant empfunden habe, möchte ich mich dennoch von diesen leicht zur Schau gestellten kannibalistischen Praktiken distanzieren und empfinde die in diesem Film als normal präsentierten Praktiken als absolut unwürdig und strafbar. Aufgrund dieser leichtfertigen kannibalistischen Intension gibt es von mir keine Bewertung! | |
meiklsan | 20.07.2014, 21:06 |
Weniger blutige als anspruchsvolle Kostvon D.S. | Permalink |
Sicherlich einer der Filme dieses Jahr, die den Zuschauer am meisten fordern – aber weniger der Komplexität seiner Handlung oder der Radikalität seiner Stilmittel wegen. Nein, CANNIBAL erzählt eine straighte Story auf ganz konventionelle Weise, wenn man mal von der Doppelbesetzung von Schauspielern in verschiedenen Rollen absieht. Was ihn (zumindest für Vielseher) so "anstrengend" macht, ist seine Langsamkeit. Seine extreme Langsamkeit. Schon um 15 Uhr hatte ich zeitweise echte Schwierigkeiten, mich wachzuhalten. Na gut, es war der zwölfte Festivaltag und mein 58. Film – aber nach der Eröffnungssequenz setzt CANNIBAL über eine gute Stunde lang schlicht ÜBERHAUPT keine Reizpunkte mehr. Man braucht also eine gewisse Kondition und echte Bereitschaft, sich auf dieses stille Psychogramm einer gestörten Figur einzulassen, um dem Film etwas abgewinnen zu können. Es lohnt sich aber, diese aufzubringen, den unter seiner kaum bewegten Oberfläche verbirgt CANNIBAL viel Lohnenswertes. Dabei ist kaum verkennbar, dass das Kannibalismusthema hier nur symbolhaft benutzt wird und es im Kern um universellere seelische Konflikte geht; um die Schwierigkeit der Selbstverortung und die Herausforderungen sozialen Miteinanders tief verletzter Persönlichkeiten. Protagonist Carlos ist Herren-Maßschneider in Granada, gutsituiertes und hoch angesehenes Mitglied der Gemeinschaft. Wenn man ihn näher betrachtet, wie der Film es tut, merkt man jedoch schnell, dass er große Probleme mit Nähe und zwischenmenschlicher Wärme hat. Insbesondere der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht bereitet ihm sichtlich Unbehagen, sie verunsichern ihn, ja schüchtern ihn ein. Da sein Alltagsleben sich fast nur auf die Arbeit konzentriert und seine Kunden ja ausschließlich Männer sind, kann er den Kontakt mit Frauen weitgehend vermeiden. Diejenigen, mit denen er doch zu tun hat, werden – zwar subtil, aber doch unübersehbar – als ihm gegenüber recht dominant, unfreundlich, fordernd dargestellt. Seine Art, mit diesem Problem umzugehen und Frauen letztendlich doch einen großen Platz in seinem Leben einzuräumen: Er tötet sie. Zerteilt sie. Lagert sie im Kühlschrank. Und verspeist sie als kaum angebratene Filets. Näher kann man einem Menschen schließlich kaum kommen, als ihn buchstäblich in sich aufzunehmen, oder? Dann aber tritt eine neue Person in sein Leben ein. Eine Frau, die ihm anders begegnet. Keine Ansprüche an ihn stellt; ihm echte Freundlichkeit und Dankbarkeit erweist. Und er beginnt sich langsam emotional zu öffnen, seine eisige Distanz abzubauen. Aber wie weit kann diese Annäherung gehen? Kann er seinen Lebensstil ändern, seine Angst vor dem anderen Geschlecht, vor Verletzlichkeit und Kontrollverlust ablegen...? Dies ist aber nur ein Teil der im Subtext von CANNIBAL zu verortenden Themen. Es geht auch um den Unterschied zwischen Verlangen und Liebe sowie, auf einer tieferen Ebene, um die Bedeutung von Religion für die kollektive Psyche eines erzkatholischen Landes wie Spanien sowie den Einfluss, den sie auf die Rolle der Frau in einer solchen, patriarchalisch geprägten Gesellschaft hat. Wie gesagt, all das wird bei äußerst niedrigem Tempo und kaum vorhandenem Spannungsbogen transportiert. Dennoch kann CANNIBAL beeindrucken – einerseits wegen seiner ungewöhnlichen Form der Auseinandersetzung mit derart schweren Themen, andererseits und vor allem durch sein großartiges Schauspiel, das alle Figuren sehr plastisch und realistisch erscheinen lässt. Vom Detail abgesehen, dass rumänische Einwanderer nach gerade einmal 1,5 Jahren Aufenthalt im Land im echten Leben wohl kaum ein so fließendes Spanisch sprechen, wie es hier der Fall ist. Wer die Muße und noch genügend Aufmerksamkeit übrig hat, sollte sich CANNIBAL jedenfalls ansehen. Es gibt einiges zu erschließen – und das zieht einen auf Dauer dann auch wirklich durchaus in den Bann. Gut gefilmt ist es außerdem. 6 Punkte. | |
D.S. sah diesen Film im Cinestar, Frankfurt | 09.09.2014, 03:56 |
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