Eins mit dem Universumvon Herr_Kees | Permalink |
Es ist wieder Lockdown: Eine neue Seuche lässt Menschen mit ihrer Umgebung verschmelzen, selbst Dinge verbinden sich miteinander. Anx und Cassie haben sich gerade erst kennengelernt und verbringen die Pandemie gemeinsam in Anx‘ Wohnung. Was als wunderbar authentisch-intime Liebesanbahnung beginnt, wird bald zum Alptraum, als der Virus langsam das Apartment übernimmt. Eine emotional berührende Geschichte, auf engem Raum unglaublich stark inszeniert: Die Farbgebung und die visuellen Effekte werden nur noch vom exzellent horrenden Sounddesign übertroffen. Die ständig bedrohliche Klangwelt des Draußen lässt an THE ZONE OF INTEREST denken, die Toneffekte machen den Schmerz der strapazierten Körper mit ihren neuen, ungewohnten Erweiterungen spürbar – Bodyhorror als ASMR. Am Ende wird der Film manchen Zuschauern zu metaphysisch und esoterisch sein, letztlich ist er vor allem künstlerisch konsequent und äußerst mutig. Und vielleicht ist das die Lösung: Die Menschheit tritt in eine neue Evolutionsstufe ein. Das Ego löst sich auf, alles wird eins, die Welt – ein Fraktal. | |
Herr_Kees sah diesen Film im EM, Stuttgart | 14.09.2024, 01:22 |
Konkrete Poesievon D.S. | Permalink |
ELSE wurde in Frankfurt mit dem letzten Slot am längsten Festivaltag gestraft. Und das war diesem feinen Film gegenüber nicht fair, denn er benötigt ein Publikum mit Aufnahmefähigkeit und Aufmerksamkeit, um seine zarte Kraft bei ihm voll zu entfalten. Nach zwölf Stunden im Kino sind diese aber wohl bei den meisten nicht mehr recht vorhanden – entsprechend äußerten sich mehrere Besucher lautstark glücklich, als der Abspann begann. Das ist schade, denn bei ELSE handelt es sich um eine wirklich eigenständige künstlerische Vision mit echter philosophischer Tiefe; um eine so versierte wie fantasievolle Umsetzung einer faszinierenden Idee, die es so wohl noch nie zu sehen gab: Infolge einer seltsamen, sich unaufhaltsam überall ausbreitenden Pandemie verfallen Pflanzen, Tiere, Gegenstände, Menschen in eine „Metamorphose“, die letztendlich dazu führt, dass alles mit allem zu einem neuen Ganzen verschmilzt. Das jeweils entstehende groteske Mischwesen ist zudem mit einer ansteckenden Mission unterwegs: Ein Blick in sein Auge, schon ist der (oder das) nächste infiziert. Und verwandelt sich alsbald in einen Felsenmensch. Einen Holzhund. Ein Betongedärm. Den Absonderlichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Panik und Beklemmung auch nicht. Die Menschen bleiben verängstigt daheim, meiden alles Fremde und den Kontakt mit anderen, verschließen lieber ganz fest die Augen als das Risiko einzugehen, vom Sog der Veränderung erfasst zu werden. Im Zentrum des von uns beobachteten Geschehens steht ein frisches, einigermaßen ungleiches Pärchen, dessen Bestandteile mir persönlich leider beide nicht allzu sympathisch waren: Anx ist ein von vornherein von der Außenwelt und ihren Subjekten offenkundig überforderter Einzelgänger mit Zwangsneurosenneigung, Cassandra eine übertrieben laut und vulgär daherkommende Draufgängerin. Sie haben sich zu Beginn der Handlung gerade auf einer Party kennengelernt, landen im Bett und sind fortan einander zugetan, schnell sogar recht alternativlos aneinander gebunden, der Krisensituation sei Dank. Jene verhindert allerdings auch ein genaueres Hinterfragen ihrer gegenseitigen Zuneigung: Sie finden sich in Anx’ Apartment eingesperrt, als die Welt vor dessen Türen von Tag zu Tag rapider vor die Hunde geht. Oder besser: sich wandelt. Neue Formen annimmt. Von ihren Bewohnern einen neuen Umgang mit der Umwelt und mit sich selbst zu fordern beginnt. Aber kann man zu einem solchen finden, wenn das gleichzeitig bedeutet, alles aufzugeben, was man früher als wichtig empfunden hat? ELSE ist geprägt von einer verunsichernd träumerischen, melancholischen und im selben Moment doch auch hoffnungsvollen Stimmung. Er lässt die Angst vor dem Verlust des Vertrauten lebendig werden und weckt ebenso die Vorfreude auf neue Möglichkeiten, entfacht das Gefühl des Glaubens daran, dass eine andere Welt nur darauf wartet, von uns entdeckt zu werden. Wenn wir uns trauen. Wenn wir bereit sind, uns – emotional – weiterzuentwickeln. Die nächsten Schritte zu machen. Ohne Furcht davor, verletzt zu werden. Für eine echte, sinnvolle Analyse wäre wohl eine Zweitsichtung nötig, zumindest aber umfassende geistige Anwesenheit. Die war bei mir, siehe oben, nicht mehr recht gegeben, weshalb ich das Stochern im Interpretationsdunkeln an dieser Stelle beende. Abgesehen davon, dass er viele Deutungen anregt, besticht ELSE aber auch auf der reinen Umsetzungsebene. Etwa durch tolle visuelle Effekte, einen extremen, extrem passgenauen Ambient-Score, ungesehene Sets. Und ganz am Ende durch ein paar wunderschöne futuristische Bilder – die allerdings auch KI-generiert sein könnten. Was ja durchaus zur (möglichen) inhaltlichen Stoßrichtung des Films kompatibel wäre. Wie viel ELSE dem Betrachter geben kann, hängt enorm davon ab, wie viel er darin finden möchte. Er eröffnet in jedem Fall Perspektiven, die einem vorher so vermutlich noch nicht präsent waren. Visuell wie emotional. Das ist mindestens 6,5 Punkte wert, potenziell auch 8,5. Aber für die war ich eben leider bei meiner Sichtung nicht fit genug. Und so fühlte sich das Erlebnis zum Schluss doch vor allem auch ein wenig zäh an. Schade drum. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 23.09.2024, 05:50 |
Ben Grimm gefällt das!von Leimbacher-Mario | Permalink |
In einer Welt, in der wir schmerzlich am eigenen Leib (persönlich oder gesellschaftlich) feststellen mussten, was es heißt, Angst vor unbekannten Viren, Krankheiten, aber auch vorm Allein- und Eingesperrtsein zu haben, kommt ein „Else“ natürlich genau richtig und stößt in noch frische Wunden. In diesem ungewöhnlichen Bodyhorror-Kammerspiel geht in der Welt eine mysteriöse, mineralische (!) Hautkrankheit um und alle müssen daheim bleiben - wie unser frisches Protagonistenpärchen, das eigentlich nur einen One-Night-Stand hatte, es sich nun aber zusammen gemütlich macht in seiner Wohnung… Werde Teil der Hausgemeinschaft „Else“ ist kein „The Thing“ von Carpenter, trotz ähnlich horrender Transmutationen. Viel mehr eine verkappt-eklige Beziehungskiste, schleimig, menschelnd, mit Körperflüssigkeiten und später globalen Auswüchsen. Kunstvoll, kreativ, anfangs durch Video- und Handylooks auch mal hässlich. Auch mit Mut zur Hässlichkeit. Philosophisch und nicht prüde. Beide Hauptfiguren/-darsteller harmonieren und haben Chemie. Alles wirkt intim und persönlich, klein und gemein. Artsy durchaus sehr. Minderbemittelt, aber mit großen Ambitionen. Weniger direkter Horror, ein Grower. Leider sind für mich beide Protagonisten eher nervig und unsympathisch, durch Makel und Marotten aber glaubhaft. Klasse Designs verlaufender Dinge, menschlich wie gegenständlich. Unterbewusst unangenehm. Apokalyptisch. Jedoch nicht gänzlich ohne Hoffnung. Kein Film für einen späten Slot an einem langen Filmfestivaltag. Benötigt Konzentration und Empathie, Vorstellungskraft und einen starken Hang zum Bodyhorrorsubgenre und dem Arthouseindiekino. Nicht ganz meins, aber interessant. Fazit: Die Haptik ist stark in diesem hier… Als ob man in einer alptraumhaften Schüttelglaskuppel beim Hautarzt gelandet ist. Arthouse-Bodyhorror-Mandala. Intim, philosophisch, leicht einlullend und einschläfernd. Nicht unambitioniert. Vielleicht sogar überambitioniert. Macht viel aus seinem geringen Budget. Leider für mich auch noch beide Hauptfiguren etwas nervig. Alles gehörig verkopft - zumindest kam bei mir zu wenig Gefühl an. „Society“ trifft „Stadt der Blinden“ trifft Nouvelle Vague trifft mexikanischen „We Are the Flesh“. Special Interest indeed. | |
Leimbacher-Mario sah diesen Film im Residenz, Köln | 23.09.2024, 12:39 |
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