The Favourite

Rub my legs!

von Christian
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Wäre es nicht der Spezial-Preis der Jury in Venedig in diesem Jahr gewesen sowie das Thema frühes 18. Jahrhundert am britischen Königshaus, ich hätte einen großen Bogen um The Favourite gemacht.

Regisseur Yorgos Lanthimos (Dogtooth, The Lobster oder The Killing of a Sacred Dear) und ich stehen meistens auf Kriegsfuß. Weder bei Humor, Komposition noch Storytelling hatten wir bisher zueinander gefunden. Dass es diesmal anders wurde, nenne ich eine wahrlich positive Überraschung. Doch was hat Yorgos dem total ausgelutschten Genre „Costume Drama“ - wo alle Varianten als große Kinoproduktion oder via BBC/ITV schon 100 Mal erzählt wurden – hinzuzufügen?

Wir blicken in die Zeit kurz nach 1700, Queen Anne sitzt auf dem Thron als letzte britische Königin des Hauses Stuart. Eine traurige und tragische Figur, ohne Nachfolger, trotz 17 Schwangerschaften. Zudem schwer von Gicht geplagt. Olivia Colman (Tyrannosaur, Broadchurch, The Lobster), die hier zeigt, warum BBC bereit war, sie ab Staffel 3 in „The Crown“ als neue Queen zu besetzen, spielt diese Queen absolut grandios.

Queen Annes Vertraute Lady Sarah Churchill, Winstons Vorfahrin, darf sich rund um die Uhr um das persönliche Wohl der Königin leidenschaftlich kümmern und trifft ganz nebenbei die königlichen Entscheidungen. Rachel Weisz als Sarah habe ich lange nicht mehr so gut gesehen.

Wie aus dem nichts tritt Abigail (Emma Stone in ihrem Element) als neues Dienstmädchen auf den Plan und zwar mit so viel Charme und Raffinesse, dass alles durcheinandergerät.

Lanthimos hat sich für seinen intrigenreichen Irrsinn einen auch politisch spannenden Moment der britischen Geschichte ausgesucht, als das Gewicht der Tories zugunsten der Whigs im Parlament zu kippen drohte.

The Favourite ist exzellent fotografiert. Der unberechenbare Grieche zeigt uns in großen Bildern und ungeschönt, dass man sich auf keinen und nichts mehr verlassen kann. Auch der letzte Period-Drama Konsument versteht spätestens hier, dass die Dienerschaft jede aberwitzige Königinnentat aus nächster Nähe mitbekommen hat. Wer die Macht hat, missbraucht sie auch. Soviel ist klar. Dass Schminke eine Rolle im 18. Jahrhundert spielt, wussten wir auch, aber wie absurd damit geaast wurde, zeigt uns The Favourite unverblümt. Wir werden nicht nur an der Nase gepudert, sondern so sehr an ihr herumgeführt, dass wir am Ende unsere Sichtweise ändern. Großer Applaus für das Drehbuch und die Inszenierung.

Freunde von Lanthimos, Bewunderer von Emma Stone und hier im besonderen ihrer Wandlungsfähigkeit sowie britische Literaturromantiker, die bereit für einen Blick in den ungeschminkten Spiegel sind, sollten meiner Empfehlung folgen.

Garantiert grenzgeil – ich wiederhole meine Überschrift: „Rub my legs“ – doch beim dritten Mal fühlt es sich anders an. Seht selbst!

(Gesehen in Hamburg im Cinemaxx 1 beim Hamburger Filmfest.)
Christian

13.12.2018, 14:12


Die Geschichte einer Magd

von Herr_Kees
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Yorgos Lanthimos wechselt nach seinen bisher radikal reduzierten Thriller-Dramen das Genre und überträgt seine bösartigen menschlichen Experimente auf das Gebiet der Kostümfilm-Satire. Weniger streng komponiert in Bild und Text als seine sonstigen Werke ist THE FAVOURITE Lanthimos’ bislang zugänglichster Film, ein naher Verwandter von DANGEROUS LIAISONS, RIDICULE oder Greenaways THE DRAUGHTMAN’S CONTRACT, wenn auch mit modernisierter, teilweise äußerst deftiger Sprache.

Die Schauspieler(innen) sind wie immer erstklassig und dieses Mal dürfen sie auch spielen, nicht nur stoisch durch die Szenerie wandeln. Die Dialoge verspritzen süßes Gift und Robby Rians Fischaugenkamera fängt die vollgestopften Säle, Kammern und Gänge des Schlosses wunderbar ein. Nur am Ende lässt sich Lanthimos nicht zu einer verträglichen Auflösung hinreißen, die das Mainstreampublikum befriedigen könnte, er entlässt uns mit einem Bild dafür, dass der menschliche Kreislauf von Macht und Unterdrückung niemals aufhören wird.
Herr_Kees
sah diesen Film im Metropol, Stuttgart

20.01.2019, 01:04


Dekadenz, Dekolletés & Diskrepanzen

von Leimbacher-Mario
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Yorgos Lanthimos’ Filme strotzten bisher nicht gerade mit Zugänglichkeit,
normalerweise er eine arthousige Absonderlichkeit ans nächste Stirnrunzeln reiht.

Doch „The Favourite“ ist anders, schwingt sich vielleicht sogar zum Goldjungen auf,
eine lebhafte Farce, nach der ist man auf jeden Fall besser drauf.

Ein Trio von Damen, die nicht nur bellen, sondern auch beißen,
Lanthimos hat es sich verdient, auf historische Fakten und politische Korrektheit zu scheißen.

Opulent und mit einer himmlischen Ausstattung, barocke Sets aus Seide und Gold,
doch der Boshaftigkeit und Durchtriebenheit dieser Biester wird kein Wandteppich hold.

Keifen, Kümmern und Aufsteigen um jeden Preis,
wie sich Stone und Weisz bekriegen, verdient jeden Preis.

Eine kostbare Collage, voller Hass und Intrigen,
eigentlich müssten um diesen Palast kreisen die Fliegen.

Köstlich, kostbar und surreal gemein,
fährt hier mehr als nur Ahnungslosigkeit in die Königin hinein.

Schmutzig, edel beleuchtet und mit einem spontanen Effet,
kein Wunder, dass jeder Kritiker und seine Oma diese Satire lobt über den Klee.

Bitter, böse, eine Komödie mit Biss,
entweder du landest auf dem Teller oder es heißt friss.

Hasen hoppeln, Gischt schwielt und Narben verblassen,
ein wunderschönes Gemälde vom Verschwimmen der Klassen.

Ist die Königin nun weltfremder Spielball oder herrschende Sonne?
Ich hatte in jedem Fall mit diesem Duell eine echte Wonne.

Fazit: Meisterlich, majestätisch, malerisch und minutiös montiert. „Barry Lyndon“ küsst „Eiskalte Engel“. Lanthimos’ bisher zugänglichster und massentauglichster Film. Fies, frivol und fein. Ein Festmahl im Vorhof zur Hölle. Jammy!
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

20.01.2019, 02:23




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