The Bone Womanvon Herr_Kees | Permalink |
Früher hing Valeria noch mit ihrer Freundin auf Punkkonzerten herum, jetzt sitzt sie mit ihrem Freund Raúl in der gemeinsamen, stylisch eingerichteten Wohnung, und ist schwanger. Es ist keine leichte Schwangerschaft, denn Valeria leidet unter Schlafmangel, Appetitlosigkeit – und offenbar unter Halluzinationen. Knochenknackende Geistererscheinungen suchen sie heim. Verschaffen sich hier unterdrückte Gefühle Gehör, sind es die Hormone oder ist wirklich übernatürliches im Spiel? Die größten Stärken von Michelle Garza Cerveras Debütfilm sind seine Glaubwürdigkeit und die Natürlichkeit seiner Schauspieler:innen. Die Liebesbeziehung zwischen Valeria und Raúl wirkt ebenso glaubhaft wie ihre frühere zu Octavia und die Belastung der Schwangerschaft ist ebenso nachvollziehbar wie das Unverständnis Raúls aufgrund ihres irrationalen Verhaltens. Es gibt hier keinen Bösewicht, keine Psychospielchen, das sind Menschen und das ist das Leben. Und ein neues Leben erfordert, mit dem alten zu brechen. Notfalls mit Gewalt. Cervares und ihrer Kamerafrau Nur Rubio Sherwell gelingt es, die Atmosphäre der unbestimmten Bedrohung in starken Bildern einzufangen, meist jenseits üblicher Genreklischees und Jumpscares, wie dies beispielsweise auch schon dem iranischen Geisterfilm UNDER THE SHADOW (2016) gelang. Ein visuell starker, souverän inszenierter und gut gespielter Film, der seine Genreebene intelligent als Metapher nutzt und – auch ganz ohne Twist – überraschend endet. | |
Herr_Kees sah diesen Film im EM, Stuttgart | 17.09.2022, 23:25 |
Innerer Babyboomvon Leimbacher-Mario | Permalink |
„Huesera“ hält sich wie viele spanischsprachige Horrorbeiträge und Grusler der letzten Jahre durchaus an seine teureren, bekannteren und erfolgreicheren Hollywoodvorbilder. Bis „Conjuring“ und Co. ist es von der iberischen Halbinsel oder gar aus Südamerika meist nicht weit, das haben in den letzten Jahren einigermaßen feine Schocker wie „Veronica“, „Malasana 32“ oder „Terrified“ immer wieder routiniert bewiesen. Spanische Mythen, Sagen und Schauergeschichten wie La Llorona wurden in L.A. ebenfalls etabliert und dankend angenommen, verwurstet, verbreitet. Nun schlägt eben „Huesera“ wieder in diese Kerbe - dieses Mal mehr in Richtung Bodyhorror und Schwangerschaftsangst, (fehlende) Muttergefühle und Mitternachtspanik, Depressionen und falsch gewählten Lebenswegen. Und wie meist außerhalb von Hollywood mit deutlich mehr Kante, Kontur und Charakter als die doch etwas weichgespülteren, schematischeren Cousins und Cousinen des Schreckens aus der Traumfabrik … Richtig toll ist aber dieses leicht religiöse Regiedebüt mit Exotikbonus leider nicht. Als neuer Filmemacherin nimmt man sich natürlich Themen, die einen im eigenen Leben berührt und beschäftigt haben. In dem Fall von „Huesera“ und Regisseurin Michelle Garza Cervera sind das unbestritten Schwangerschaftsängste, Familienprobleme und mexikanischer Okkultismus. Und der Ansatz sich an Bekanntem, Familiärem und Intimem abzuarbeiten, ist ja auch ohne Frage logisch. Dennoch zeigt „Huesera“ dann doch erstaunlich klar, warum das nicht unbedingt reichen muss, geschweige denn sich dadurch automatisch von der ähnlichen Masse abheben kann. Egal ob auf Englisch oder Spanisch. „Huesera“ ist schon ein kleiner Alptraum, für neue oder angehende Eltern, wenn auch eher weiblich fokussiert. Wer nicht gerne Knochen knacken hört, hat es hier ebenfalls schwer. Dazu ist der Mythos der „Bone Woman“, auf dem das Ganze basiert, ohne Frage gruselig durch und durch. Die Hauptdarstellerin gibt und zeigt alles, sehr aufopferungsvoll und mutig. Das Finale kommt dann auch endlich mal zum Punkt und zur Kulmination. Doch im Endeffekt hat man das alles im Horrorbereich eben schon dutzende Male gesehen. Rund um den Globus, die Themen sind universell, in besser und schlechter, in härter und emotionaler, in teurer und rauer. Sicher ein sehr persönliches Regiedebüt, das sich aber trotz allem aus der Ursuppe, der er entstammt, nie freischwimmen kann. Punkige Einschübe hin oder her. Es fehlt dann doch das gewisse Etwas. Fazit: Mutter- und Körperhorror aus Mexiko, ohne allzu viele Pointen. Nicht viel anders als La Llorona - nur eben mit elterlichen Ängsten und Herausforderungen. Solide Handwerksarbeit. Aber im Grunde reicht konsequentes Knochenknacken und bitteres Babyignorieren nicht für mehr. | |
Leimbacher-Mario sah diesen Film im Residenz, Köln | 18.09.2022, 01:59 |
Bis es brichtvon D.S. | Permalink |
HUESERA ist ein Geisterfilm aus Mexiko, und der Unterschied zu thematisch ähnlich gelagerten Filmen aus Hollywood, seit einigen Jahren natürlich vor allem aus der Blumhouse-Schmiede, könnte größer kaum sein. Das fängt schon damit an, dass wir es hier endlich einmal mit Protagonisten zu tun haben, die nicht nur äußerst sympathisch, sondern vor allem auch äußerst authentisch wirken, wie echte Menschen, die man genau so in seinem Bekanntenkreis finden könnte. Dass sie sich so natürlich anfühlen, liegt nicht nur am starken Schauspiel: Das von Regisseurin Michelle Garza Cervera gemeinsam mit Abia Castillo verfasste Drehbuch gibt insbesondere der werdenden Mutter Valeria viel Zeit und Raum, sich als komplette, mehrdimensionale Persönlichkeit zu präsentieren, die nicht nur in der Gegenwart lebt, sondern auch eine sehr individuelle Vergangenheit hat. Diese unterscheidet sich dabei sehr von Valerias heutiger Verfasstheit – und es scheint nicht so, als sei sie selbst damit so wirklich im Einklang. War sie früher in der Punk- und Hardcore-Szene Mexico Citys unterwegs, spielte Bass in einer Band, schlug in jeder Hinsicht über die Stränge, führte eine rauschhafte Beziehung mit ihrer Freundin Octavia und plante sogar, mit ihr in die Berge zu ziehen, so findet sie sich heute im „erwachsenen“ Alltag wieder. Ein geordnetes Leben mit einem „normalen“, ziemlich angepassten Partner, der in der Werbung arbeitet und ihr gerne den Haushalt überlässt; Abendessen mit ebenfalls „gereiften“ Freunden; und natürlich: die Schwangerschaft. Muss ja, Partner, Familie, Freunde erwarten das (zumal in Mexiko!) von dir, und die biologische Uhr tickt ja schließlich. Spätestens aber, als Valeria ihrer Ex nach Jahren zufällig wieder einmal über den Weg läuft, tun sich Risse in ihrer Lebenswahrnehmung auf. Sie beginnt sich, so hat es zumindest den Anschein, immer lauter zu fragen, ob sie sich wirklich für den richtigen Weg entschieden hat, ob sie durch die Wahl von Anpassung und Zufriedenheit mit den kleinen Dingen nicht eigentlich ihr Innerstes verraten hat. Dass sie keine geborene Mutter ist, wird ohnehin in jeder zweiten Einstellung deutlich; Zigaretten und Kreissägen werden jedenfalls als integralerer Teil ihrer Persönlichkeit präsentiert als Babybettchen und Familienabende. Ihr Zwiespalt, ihre Angst vor der finalen Festlegung auf ein „gesittetes Dasein“ wird allerdings auf drastische Weise verschärft, als neben Octavia ein ganz anderes Wesen in ihr Leben tritt: eine spinnenartige Knochenfrau, ein höchst stofflicher Geist, der jede Menge Jump Scares im Gepäck hat – und nur durch gefährliche Gegenmagie wieder vertrieben werden kann. Wenn diese denn dafür ausreicht… Natürlich braucht man kein Fernglas, um die BABADOOK-ähnliche Symbolik in der Story von HUESERA zu erkennen. Vielleicht ist der Holzhammer hier auch ein wenig zu groß geraten. Das mindert die Effektivität der Erzählung aber kaum, denn die Knochenfrau wird wirklich beängstigend in Szene gesetzt und Valerias Panik und Verzweiflung werden so handfest greif- wie nachvollziehbar gemacht. Das allgegenwärtige Knacksen der Knochen – sowohl derer der Geisterfigur als auch derer von Valeria selbst – verursacht geradezu körperliches Unbehagen, zudem sind Tabus für das Böse offensichtlich eher abwesend: alles nur denkbare Unheil scheint hier problemlos möglich. HUESERA fühlt sich frisch und originell an, obgleich die Geschichte selbst natürlich keine unbekannte ist. Neben den unverbrauchten, befreit und beseelt aufspielenden Darsteller:innen werden hier allerdings mitunter auch vollkommen neue Bildwelten gefunden. Allein schon die im Finale aufgesuchte „Anderswelt“, in der Valeria den Geist – und ihre Lebensentwürfe – konfrontiert, ist den Eintrittspreis wert. Und hinterlässt nachhaltig Eindruck. Eine höchst eigenständige, lebendige, stellenweise schmerzhaft wirksame Umsetzung vertrauter Genreelemente: bitte viel mehr davon. Gute 7 Punkte. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 27.09.2022, 03:36 |
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