Incredible But True

Löcher, Penisse und das Alter

von Leimbacher-Mario
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Gefühlt haut Quentin Dupieux jährlich mindestens einen Film raus, manchmal mehr. Dieses Jahr beglückt der enorm fleißige Regisseur und einstige Musikstar uns mit „Incredible But True“ - eine süß-witzige Groteske übers Altern, über den Wahn jung zu bleiben und über nicht weniger als den Sinn des Lebens, der Zeit, der Liebe…

Doch was man episch klingen lassen kann, wie ich oben, ist im Endeffekt auf der Leinwand nur eine (weitere) Fingerübung. Dupieux hat seinen eigenen Style und mag ein Genie sein. In Gänze bringt er diese kreativen PS aber meiner Meinung nach nur selten auf die Straße. Dieses filmische Loch ohne Boden ist da keine Ausnahme. Ich mag sehr, dass sich seine Auswürfe flott, fluffig und frech weggucken lassen, dass sie oft nur knapp über eine Stunde gehen. Dass sie starke Dialoge, meist glorreiche Ausgangsideen und einen ganz eigenen Humor besitzen. Tolle französische Charakterköpfe, feine Beats und durchaus intelligente Aussagen. All das trifft auch hier zu. Da fällt es Dupieux meiner Meinung nach schwer, mal einen schlechten Film zu machen. Was auch „Incroyable Mai Vrai“ definitiv nicht ist. Aber es fühlt sich halt eher wie ein Spontanprojekt als ein ausgewachsener Kommentar an, eher ein Schnell- statt ein Kopfschuss. Und gerade zum ausgenudelten Thema „Jugendwahn“ hätte es meiner Meinung nach mehr gebraucht, um hängenzubleiben. Dennoch: ein verfliegender Genuss.

Fazit: Mal wieder schön aus der Hüfte geschossen von Dupieux - aber eher Stoff für einen Shorty anstatt einen voll ausgewachsenen Film. Clever. Deutlich. Aber recht simpel. Sollte er mehr auf Qualität statt Quantität gehen?
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

03.04.2022, 18:25


Der (Amei)Sinn des Lebens

von D.S.
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Wofür sind wir auf der Welt? Gute Frage, nächste Frage, auch ein Quentin Dupieux kann sie in INCREDIBLE BUT TRUE jedenfalls mal wieder nicht beantworten. Obwohl er sie so offensichtlich und offensiv angeht wie in keinem seiner vorherigen Filme - und er sich ihr bzw. dem Kern der menschlichen Existenz als solchen in seinen Arbeiten ja ohnehin so rückhaltlos, konsequent und umfassend annähert wie kaum ein anderer Filmemacher.

Tja, manche Antworten kann man eben nur selbst entdecken. Zum Beispiel, indem man sich faulige Äpfel mal genauer ansieht. Oder sie mit in ein ominöses Loch im Keller nimmt. Weitere Vorschläge würden sich ins Reich des Spoilerns begeben, darum unterlasse ich sie lieber mal; nur so viel: Ein Schritt vor kann auch ein Schritt zurück sein, und das gilt für die Handlung dieses neuen Großwerks des absurden Kinos genau so wie für das Schaffen von Dupieux selbst.

Anders formuliert: So stringent dargeboten, linear erzählt und handlungsseitig nachvollziehbar wie dieser war außer DEERSKIN noch keiner seiner Filme - ein klarer Schritt nach vorn in Sachen Storytelling. Gleichzeitig aber verblieb bislang auch noch kaum einer seiner Filme so konsequent in einem simplen, festen, konkret etablierten Handlungsrahmen: Konnte man früher davon ausgehen, dass ein Dupieux-Werk auf kurz oder lang zumindest zwischendurch radikal mit seinem Story-Setup brechen und sich einfach mal mittendrin irgendwelchen Themen widmen würde, die keinen offensichtlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Geschichte haben - was zu einem guten Teil erst für den anarchischen Gesamteindruck seiner Filme sorgte -, bleibt INCREDIBLE BUT TRUE seiner Story sehr treu und wendet sich in keinem Moment von ihr ab. Selbst, wenn er sie nicht strikt linear erzählt. Und das kann man durchaus als Schritt zurück betrachten, jedenfalls, was den Dupieux-spezifischen Unterhaltungs- oder auch WTF-Faktor des Films betrifft.

Knapp gesagt: INCREDIBLE BUT TRUE hat eine großartige, sensationell bizarre Handlungs-Idee, macht aus dieser allerdings relativ wenig, nachdem er sie erst mal ausführlich etabliert hat. Tatsächlich interessiert das Geschehen rund um das Protagonisten-Ehepaar, welches das wundersame Effekte habende Loch im Boden des Kellers seines neuen Hauses entdeckt, mangels Weiterentwicklung ab einem gewissen Punkt lange nicht mehr so sehr wie der herumblödelnde Nebenhandlungsstrang um den Chef unseres Protagonisten, der sich einer körperlichen „Verbesserung“ unterzogen hat. Auf ein nennenswertes Ergebnis führt der zwar (auch) nicht hin, aber er hat unmittelbar nachvollziehbar komische Konsequenzen - während der Umgang unserer Protagonisten mit ihrer faszinierenden Entdeckung bald jede Faszination bei ihnen selbst, und darum auch beim Publikum, missen lässt.

So werden durch die Handlung zwar unglaublich spannende Gedankengänge rund um das Thema Lebenssinn angerissen und ausgelöst, so beeindruckt der Film an einem bestimmten Punkt auch mit seiner Verweigerungshaltung gegenüber den Konventionen der filmischen Narration - wenn er zehn Minuten lang auf jeden Dialog verzichtet und ein schier endlos wirkendes „fast forward“ betreibt -, dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass Dupieux seine Story jenseits ihrer handlungsauslösenden Idee nicht bis zum Ende durchdacht hat. Sie fällt zum Ende hin jedenfalls leider ein bisschen auf die Schnauze, den Erkenntnis- wie auch den Unterhaltungsfaktor betreffend.

So ist INCREDIBLE BUT TRUE schlussendlich ein Film, der ob seines Sujets und der Art seiner anfänglichen Auseinandersetzung mit diesem Freunde des Hirnverknotenden und existenziell Bizarren zwar zunächst vollauf begeistern kann. Auch die Darsteller:innen, speziell der bereits aus mehreren Dupieux-Filmen vertraute Alain Chabat, machen ihre Sache gut. Nachdem wir den „but true“-Aspekt der Story jedoch erst einmal akzeptiert haben, verliert der „incredible“-Aspekt an Wirkung, denn er wird nicht weiter erhöht oder auch nur ausgereizt. Insgesamt stellt sich deshalb leider irgendwann ein gewisses Gefühl der Ermüdung ein - oder auch der Enttäuschung ob zu viel „Normalität“. Obgleich, rein objektiv, die Handlung bis zuletzt maximal wahnwitzig bleibt. Aber es ist nunmal ein Film von Quentin Dupieux. Da erwartet man immer noch ein bisschen mehr Unglaubliches. Und das bekommt man hier nur bedingt geboten. 6,5 von 10 Punkten.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

06.04.2022, 02:45


Ein Leben im 12-Stunden-Takt

von Herr_Kees
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Quentin Dupieux, der ADHS-Verdachtsfall unter den Komödienregisseuren, bei dem pro Film meist mehr abgefahrene Einfälle zum Einsatz kommen, als im gesamten Lebenswerk seiner meisten Kolleg:innen, hat sich dieses Mal an einer einzigen Idee festgefressen, die er dann auch wirklich konsequent bis zum Ende durchexerziert.

Na ja fast: Kurz vor Schluss scheint für ihn die Geschichte auf konventionelle Weise auserzählt, sodass er das weitere Schicksal seiner Figuren einfach in einer längeren Montage geschehen lässt. Auch hieraus würden andere noch Überlängen produzieren, bei Dupieux geht der ganze Film gerade mal 74 Minuten.

Worum es nun im Eigentlichen geht, wird im Film selbst so schön mit Dialog und Schnitt eingeführt, dass keine Review dies vorwegnehmen sollte. Nur so viel: Es geht im Groben um das Ausschöpfen metaphysischer Möglichkeiten, um unterschiedliche Lebensentwürfe und Wünsche in Partnerschaften, um asiatischen Hightech im Intimbereich, ums Geschenkeverpacken und um eine gesunde Work-Life-Balance. Das gibt schon zu denken, allein schon rein rechnerisch, macht aber dann doch nicht ganz so viel Spaß wie z. B. WRONG.

Gerne darf sich M. Dupieux mit dem nächsten Film etwas länger Zeit lassen und dafür dann wieder ein zündenderes Ideenfeuerwerk abbrennen.
Herr_Kees
sah diesen Film im EM, Stuttgart

10.04.2022, 23:57




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