crazy

The Ordeal

Calvaire

Aus dem offiziellen Programm:
FRENCH CONNECTION, unsere diesjährige Reihe zur Würdigung der brodelnden Eleganz des französischsprachigen Genrefilms, zaubert als Auftakt ein unbequemes Kaninchen aus dem Hut. Nicht nur, dass dieser Geheimtipp aus Cannes bisher nur in einer work-in-progress-Version zu sehen war (die dem Film jubelnde Kritiken einbrachte). Nicht nur, dass die Endfassung erst in allerletzter Minute fertig gestellt und mit fliegenden Fahnen zur Weltpremiere des Fantasy Filmfest 2004 verschifft wurde. Es handelt sich auch um einen dieser cleveren, crazy Bastarde, der wie aus dem Nichts auftaucht, sich tief hinein in die Magengrube bohrt und aus dem Stand das Zeug zum Kultphänomen hat.

Die Rahmenhandlung ist rasch erzählt: ein junger Sänger (Laurent Lucas, Harrys armes Opfer in HARRY, UN AMI QUI VOUS VEUT DU BIEN, FFF 2000) strandet im belgischen Niemandsland. Diese Einöde ist gekennzeichnet durch eine besonders radikale Tristesse, gilt sogar als klimatisch mit Sibirien verwandt: Eis und morastige Steppe soweit das Auge reicht. In dieser ungemütlichen Landschaft streikt nun Marcs Auto und der erste Schreck nähert sich in Form eines debilen Einheimischen, der vehement an die Scheibe klopft - auf der Suche nach seinem Hund 'Bella'. Das ganze bizarre Ausmaß dieser Begegnung wird erst später klar: Bella steht symbolisch für die notorische Abwesenheit von Frauen in Fabrice Du Welzes Film. - Der Dörfler begleitet Marc zum nahe gelegenen Gasthof. Dessen Besitzer Bartel schleppt, seit ihm seine Ehefrau Gloria abhanden gekommen ist, gravierende psychische Probleme mit sich rum. Marcs Leidensweg beginnt...

CALVAIRE, so der französische Titel, bedeutet übersetzt Martyrium und kann auch als Golghata, Totenschädelhügel der Kreuzigung Jesu, gedeutet werden. So wimmelt der Film von religiösen Motiven und könnte vordergründig als Allegorie auf die Passion Christi aufgefasst werden, wären da nicht die ungeheuer zahlreichen Deutungsebenen des Stoffes. Was inhaltlich fast wie Old School Grusel aus der amerikanischen Traumfabrik daherkommt, allein durch das TEXAS CHAINSAW MASSACRE-Hinterwäldler-Thema, ist durch eine starke Prise 'junges Europa' gewürzt und wirft nonchalant derartig viele Zitate, Fragen und Absurditäten in den Raum, dass Interpretationsansätze auch nach mehrmaliger Betrachtung spannend bleiben.

Obwohl komische Elemente durchaus vorhanden sind, muss man anmerken, dass der nagende Nihilismus und Tabubruch der jungen französischen, belgischen und québecoisen Regie-Generation die Farbe schwarz im Ausdruck black comedy neu definiert (siehe auch MADAME EDWARD).

Dennoch bleibt der Film, ein paar Szenen ausgenommen, eher gemäßigt, was die Darstellung von Gewalt betrifft. Es sind vor allem Marcs Erniedrigungen, die THE ORDEAL zu einem knochenharten Nagelbeißer machen. Eine tiefe Verbeugung macht Du Welz schließlich vor seinem Kollegen Gaspar Noé, dessen Werke SEUL CONTRE TOUS und IRREVERSIBLE stilistisch wie auch im Cast zitiert werden: Noés Fleischer Philippe Nahon hier als Rädelsführer der sardonischen Dorfgemeinde, sowie Monica Belluccis Peiniger Jo Prestia erneut als Vergewaltiger.


5.4 Sterne (21 Bewertungen)

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