crazy

Plastic Guns

Viva Zavatta!

von Herr_Kees
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Der unfehlbare Profiler Zavatta identifiziert noch kurz vor seinem Urlaubsflug den in ganz Frankreich gesuchten Familienmörder Paul Bernardin. Der extrem unsympathische Kerl wird auch gleich nach seiner Ankunft in Dänemark festgenommen… Parallel schnüffeln zwei Hobbyermittlerinnen in Bernardins auskunftsfreudiger Nachbarschaft herum. Und in Argentinien feiert ein Mann, der Bernardin verdächtig ähnlich sieht, seine Hochzeit.

Klingt nach einem konventionellen Krimi? Von wegen. Regisseur Jean-Christophe Meurisse ist zuletzt mit seinem Film BLOODY ORANGES aufgefallen – halb Satire, halb blutiger Horrorthriller. Mit den lose verknüpften Episoden um den Fall Bernardin scheint es, als würde er seinem Landsmann Quentin Dupieux nacheifern. Der absurde Humor, die ausladenden, unsinnigen Dialoge und die bis ins Surreale übertriebenen Situationen gehen in dieselbe Richtung.

Eine Videokonferenz zwischen der dänischen und der französischen Polizei, die aufgrund von Sprachproblemen nicht vom Fleck kommt, gehört zu den humoristischen Highlights, aber der Film ist voll von solchen zum Brüllen oder auch nur zum Schmunzeln komischen Szenen, die dann aber auch (siehe BLOODY ORANGES) gegen Ende von reichlich brutalen Sequenzen konterkariert werden.

Insgesamt ein schön verrücktes Paket, das so wohl nur aus dem französischen Sprachraum kommen kann. Die Motive (inklusive der Verwechslung!) basieren im Übrigen auf dem Fall von Xavier Dupont de Ligonnès, der noch immer nicht gefasst wurde.
Herr_Kees
sah diesen Film im EM, Stuttgart

18.09.2024, 00:23


Säuresupersoaker

von Leimbacher-Mario
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Der regie- und stimmungstechnische Vorgänger „Bloody Oranges“ war für meinen Geschmack vor drei Jahren schon ein erfrischendes Humorhighlight. Nun kommen die französischen Macher mit „Plastic Guns“ um die Ecke - schießen sie wieder den satirischen Vogel ab? Oh ja, und zwar ganz ungeniert mit der Pumpgun! Dieses Mal folgen wir einem meisterlichen Profiler und zwei Hobbyermittlerinnen auf der Jagd nach einem landesweit gesuchten, schon legendären Familienmörder…

„Plastic Guns“ ist sehr französisch. Ungeniert und alle Blätter vorm Mund weg. Diesen Humor haben momentan nur unsere eigensinnigen Nachbarn inne. Nonchalant, kreativ, manchmal böse, immer frech. Auch mit Eiern, keineswegs safe gespielt. Von schockierenden Momenten bis zu Szenen und vor allem kongenialen Maschinengewehrdialogen, die einen entwaffnen und vor Lachen fast auf den Boden werfen. Das ist dominant, vollkommen durchgeplant - und wirkt dennoch oft spontan und immer unberechenbar. Meurisse hat seine ganz eigene Sprache, sein Timing ist exzellent, seine Wortwahl ist unfassbar gelungen. Klar, manchmal sind Gedanken an den noch wesentlich surrealeren Dupieux nicht weit weg. Dennoch sind sich beide zwar grün, aber nie zu nah. „Plastic Guns“ wirkt offbeat und doch natürlich. Die beiden Hobbyermittlerinnen sind purer Zucker. Die humorlose Montage der grundlegenden Morde im letzten Drittel ist absurd hart und auch akustisch teuflisch unterlegt. Und kurze Zeit später zieht's dann schon wieder die Mundwinkel weit hoch. Sowohl Serienmördergroupies als auch True-Crime-Serien kriegen ihr Fett weg. Und langweilig wird es nie. Wie ein wilder Traumritt durch News und unterschwellige Ängste. Nur das „Happy End“ kommt sehr plötzlich. Und es werden bei weitem nicht alle Handlungsstränge beendet, was schade aber akzeptabel ist.

Fazit: Speziell, anders, bizarr. Etwas surreal, immer clever und mutig. Allzu viele klare Aussagen und Thesen ziehe ich nicht heraus - aber diese verwirrten Ermittlungen sind zu köstlich und weird, um keinen Spaß dabei zu haben! Kurzweilig af.
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

22.09.2024, 02:03


Dupieux in mehr als nur böse

von D.S.
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Schon BLOODY ORANGES war für mich ein echtes Highlight – der neue Film von Jean-Christophe Meurisse steht dem in kaum etwas nach. Und das, obwohl er vordergründig harmloser daherkommt, die Gewaltexplosionen vermissen lässt, die das Vorgängerwerk nach einer „nur“ verbal spitzen ersten Hälfte so faszinierend schockierend machten.

Nein, oberflächlich betrachtet, schraubt PLASTIC GUNS das Extremheitslevel deutlich herunter. Dabei erfahren wir doch in der Eröffnungssequenz, dass ein Film heutzutage zu mindestens 30 Prozent aus Blut, Gore und Ekelszenen bestehen muss, um bei Netflix & Co. erfolgreich zu sein! Zum Glück bekommen wir gleich hier schon ein wenig Entsprechendes geboten. Verfolgen wir doch die Autopsie einer Leiche durch zwei Ärzte, die sich dabei über Monsieur Zavatta unterhalten, den gottgleichesten Profiler aller Zeiten, der bestimmt auch Frankreichs Staatsfeind Nummer 1 ausfindig machen wird: Paul Bernadin, den abgetauchten Mörder seiner Frau und seiner drei Kinder. Szenenwechsel – und wir werden Zeuge, wie Zavatta genau das gelingt. Oder auch nicht. Wer weiß das schon? Wer kann sagen, was Realität ist und was nicht?

In der Folge erleben wir mit, wie ein vermutlich Unschuldiger von Ermittlungsbehörden aller Art verdächtigt wird, Bernadin zu sein. Wie zwei gelangweilte Hausfrauen mit Facebook-Diplom vierter Stufe sich auf eigene Faust auf die Suche nach Details und Schuldigen machen. Und wie der vermutlich echte Bernadin sich kaum weniger um all die Aufregung rund um seine Person scheren könnte.

Wie schon in BLOODY ORANGES kommt hier also eine szenische Inszenierung zum Einsatz, im Gegensatz zu jenem sind die einzelnen Handlungsstränge hier jedoch von Anfang an ganz offensichtlich durch ihr gemeinsames Thema miteinander verbunden. Noch mehr unterscheiden sich die beiden Filme dadurch voneinander, dass zumindest Freunde des absurden Humors, der freigiebig in die Groteske umkippenden Satire vom Start weg reichlich Gelegenheit bekommen, sich in herzhaftem Gelächter zu ergehen – was beim Screening in Frankfurt auch ausführlich geschah. Mehr „Spaß“ gab es beim diesjährigen FFF bisher noch nicht zu goutieren.

Aber natürlich ist dies vergifteter Spaß. Spaß mit einer hinterrücks eingepflanzten, heimtückischen, umso schmerzhafteren Spitze. PLASTIC GUNS seziert die menschliche Hässlichkeit, die sich zuvorderst in Stolz, Eitelkeit und Verachtung ausdrückt. Und wie im Spiel dafür sorgt, dass wahllose Opfer leiden müssen oder sogar vernichtet werden. Während der Film im Vergleich zu BLOODY ORANGES an der Oberfläche meist gebremst erscheint – physische Gewaltszenen sind rar – und in mancher Hinsicht fast wie ein Quentin-Dupieux-Werk in etwas weniger absurd, dafür deutlich bösartiger und auch realitätsnäher daherkommt, ist die darunterliegende Botschaft bzw. Weltsicht mindestens ebenso scharf, bitter, hoffnungslos pessimistisch und, seien wir ehrlich, von Abscheu für die heutige Ausprägung der Menschheit erfüllt.

Ganz besonders, wenn man selbst mit den passenden Einstellungspräferenzen ausgestattet ist, wird man in PLASTIC GUNS ungemütlich viel Vergnügen finden. Dies dürfte für Kinder des Mutterlands von demokratischer Revolution und Guillotine übrigens noch deutlich mehr gelten als für alle anderen: Nicht nur ist der dem Film zugrundeliegende reale Fall der Morde von Xavier Pierre Marie Dupont de Ligonnès in Frankreich ein massiv größeres Thema als im Rest der Welt. Auch werden hier explizit Franzosen, ihre Behörden und ganz besonders ihre Polizei als, sagen wir es kurz und bündig, unfassbar selbstsüchtige und inkompetente Arschlöcher desavouiert. Wunderschön böse – 7,5 Punkte.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

22.09.2024, 02:25




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