Wilder wird’s nicht.von D.S. | Permalink |
R100 ist das neueste Werk von Hitoshi Matsumoto. Das sollte dann als Review eigentlich fast schon reichen: Denn wer seine bisherigen Filme kennt, allen voran SYMBOL, der weiß, auf welches Level an Bizarrerie er sich hier gefasst machen kann. Und wer jene(n) mag, der weiß auch, dass er an R100 nicht vorbeikommt: Weil er ihm erneut erlaubt, in eine perfekt wahnsinnige Welt ohne Schranken von Vernunft, Logik oder Moral einzutauchen. In der nichts vorherzusehen ist, alles erlaubt, alles denkbar. Und in der existenzielle Fragen des menschlichen Daseins durch die Anwesenheit einer fetten Spuck-Domina beantwortet werden, hochgradig philosophische Überlegungen in einen kontinuierlichen Schwall kindischer Obszönitäten getränkt sowie die Tiefe unseres Leidens an der Welt durch gackernde Albernheit auf ein nur scheinbar debiles, im Kern aber höchst gesundes Maß heruntergestutzt wird. Wie schon in SYMBOL werden wir auch hier mit einer Story konfrontiert, deren Idee grandios abseitig ist und deren Exekution für fassungslos kopfschüttelndes Gelächter beim Publikum sorgt: Takafumi Katayama (Nao Ômori, „Ichi" aus ICHI THE KILLER), ein phlegmatischer Möbelverkäufer um die 40, lebt ein einsames, unglückliches Leben, seit seine Frau aus nicht genau geklärten Gründen im Koma liegt. Trotzdem hat er nach wie vor körperliche Bedürfnisse - die sich allerdings nur befriedigt sehen, wenn er sich von einer Frau gnadenlos entwürdigen, bestrafen, unterwerfen lässt. Dann allerdings umso mehr: Der Höhepunkt verwandelt sein Gesicht in ein maskenhaft grinsendes (CGI-) Abbild der Glückseligkeit, lässt ihn Erfüllung buchstäblich wie Radiowellen ausstrahlen und eine Stufe der sensorischen Wahrnehmung erreichen, auf der das Hier und Jetzt, die profane Realität, die Zwänge und Schmerzen des Alltags komplett übertönt werden. Klar, das kann zu hochnotpeinlichen Konsequenzen führen - aber Geilheit ist Geilheit, und die geht ihm ganz offensichtlich über alles. Deshalb zögert er auch nicht lange und tritt einem sehr speziellen, sehr mysteriösen SM-Club bei; dem sehr speziellen, sehr mysteriösen Vertrag zum Trotz, den er unterschreiben muss: Ein Jahr lang werden ihn immer wieder Dominas unterschiedlichster Couleur besuchen kommen und ihn einer rabiaten Behandlung unterziehen, ganz egal, wo er gerade ist und was er gerade macht. Ob ihm das dann gefällt oder nicht: Der Vertrag ist nicht kündbar. Jeder Versuch, ihn zu brechen, gleich aus welchem Grund, wird mit Vergeltungsmaßnahmen beantwortet werden - klar, dass wir davon einige zu sehen bekommen und die es auch in sich haben, denn die Latex-Ladys verfügen nicht nur über schier unerschöpfliche Ressourcen und Fähigkeiten, sondern auch über komplette Skrupellosigkeit beim Ahnden von Regelverletzungen. Und machen nicht mal vor unschuldigen kleinen Kindern halt... Der größte Unterschied zu SYMBOL ist vielleicht, dass Matsumoto hier ständig noch einen draufsetzt. Der Plot erschöpft sich diesmal nicht in der (fraglos optimal umgesetzten) Ausreizung einer Grundidee, die trotz ihrer maximal offenen, maximal „großen" Auflösung eigentlich kaum Spielraum für Tempo oder Handlungshöhepunkte bot, sondern sich in ihrer Skurrilität manchmal selbst genug schien: In R100 wird eskaliert bis zum ultimativen Gehtnichtmehr. Das macht ihn zugänglicher, da schon an der Oberfläche abwechslungsreicher und unterhaltsamer. (Aber keinesfalls weniger bizarr, wie ich noch mal betonen möchte!) Interessanterweise trägt auch hier ein Subplot dazu bei, dem Ganzen eine weitere, schwer analysierbare und zum generellen WTF??-Gefühl beitragende Ebene zu verleihen - auch, wenn er nicht so prominent inszeniert ist wie die Wrestler-Story in SYMBOL. Dafür erklärt er den Titel des Films: „R100" bezieht sich aufs japanische Rating-System und bedeutet soviel wie „Nicht freigegeben unter 100 Jahren". Wie es zu dieser Einschätzung kommt, erfahren wir, wenn der Film seine Handlung immer wieder unterbricht, um uns seine Produzenten zu zeigen, die ihn gerade sichten und ob seiner Irrsinnigkeit vollkommen irritiert sind. Ein Assistent des Regisseurs erläutert ihnen dann, der Maestro habe gesagt, man müsse mindestens 100 Jahre alt sein, um den Film verstehen und würdigen zu können... ah ja. Alleine diese herrlich lakonisch gespielten Szenen, die wohl die Fassungslosigkeit eines Mainstream-Publikums angesichts des Geschehens in R100 spiegeln dürften, sind es schon fast wert, diese filmische Obskurität beim FFF (oder anderweitig) anzusehen - wobei es sich übrigens empfiehlt, bis zum Ende des Abspanns sitzen zu bleiben. Im Gegensatz zur ähnlichen Meta-Mechanik von RUBBER, an die man sich hier wohl unweigerlich erinnert fühlt, kann bei R100 aber auch die Haupthandlung auf Dauer fesseln und für sich betrachtet klasse unterhalten. Damit ist der Film eine ganz klare Empfehlung für jeden, der es etwas (oder auch: gewaltig) neben der Norm mag und keine Angst vor Albernheits-Abenteuern hat, welche die Grenzen seiner Erwartung alle paar Meter pulverisieren. Nach langsamem Einstieg: No holds barred! 7,5 von 10 Punkten. | |
D.S. | 07.07.2014, 20:21 |
Die schmerzhafte Seite der Lustvon bewitched240 | Permalink |
Die erste dreiviertel Stunde geht der Film fast noch als lupenreines Drama durch, dann drückt Regisseur Matsumoto (Symbol, Dai-Nihonjin/Der große Japaner) aber mächtig auf das Gaspedal und es folgen viele skurrile und aberwitzige Szenen, die in einem Showdown sondersgleichen enden. Unglaublich, welche verrückten Einfälle Matsumoto hat. Allein die Geschichte ist schon ziemlich durch: Ein Familienvater, der in einem Möbelhaus arbeitet, nimmt gerne die Dienste von Dominas in Anspruch, die ihn im Alltag überraschen, indem sie ihn z. B. in einem Restaurant verprügeln und treten. Er schließt mit der betreuenden Firma einen Jahresvertrag. Als er diesen Vertrag nach kurzer Zeit dann doch vorzeitig kündigen will, besteht die Firma aber auf dessen Einhaltung. | |
bewitched240 | 12.07.2014, 00:08 |
Beat me to heavenvon lexx | Permalink |
Hitoshi Matsumoto, von Beruf Regisseur mit Markenzeichen "Wahnsinn mit System" (Symbol) hat wieder zugeschlagen und dieses Mal nimmt er die Schläge die er verteilt wörtlich. Der SM Schuppen "Bondage" bietet öffentliche Züchtigung mit maximaler Erleuchtung bzw. sexueller Erektion an. Takafumi Katayama, ein alltagsgrauer Stadtbürger unterzeichnet diesen Pakt mit dem Teufel und wird ab dem Zeitpunkt öffentlich von Peitschen schwingenden Frauen, in engem, schwarzen Leder verfolgt - die ihm natürlich nur das Beste wollen und dabei äußerst dominant und rabiat vorgehen. Die Geister die er rief wird er alsbald nicht mehr los und muss sich kurz darauf mit aller Gewalt dagegen zur Wehr setzen. Absurde Idee, noch absurder umgesetzt und man hat das Gefühl, noch lange nicht alle potentiell möglichen Absurditäten ausgereizt. Das ist auch ein Kritikpunkt von mir, nicht dass Matsumoto während des Filmes die Ideen ausgegangen wäre, aber diese Konstellation hätte in der Öffentlichkeit, in Takafumis Alltag noch Stoff für etliche weitere Megalacher gehabt, aber irgendwie wurden diese Optionen dann nur noch teilweise gezogen. Stattdessen wird der Film in der zweiten Hälfte deutlich Action geladener, verliert an Situationskomik und schlägt klar über die Stränge des guten Geschmacks. Je nach Filmneigung kann das aber auch positiv bewertet werden. Im Vergleich zu WHAT WE DO IN THE SHADOWS fehlt R100 sicherlich der gewisse Charme und auch die ganzen ironischen Seitenhiebe, aber dafür bekommt man genau das, was man von den Japanern gewohnt ist und verlangt. Eine Absurdität jagt die nächste, Slapstick, pure tabu lose Kreativität am laufenden Band. Dabei beginnt R100 wie ein graues, voller Trauer und Tristesse verhängtes Drama mit Suizidcharakter, offenbar aber nur, um die Audienz in Sicherheit zu wiegen und dann mit dem Vorschlaghammer dem Wahnsinn Auslauf zu gewähren. Kurzum, Symbol bleibt leider unerreicht, aber für Fans ein kleines Fest. | |
lexx | 06.09.2014, 13:13 |
Skurrilvon Fex | Permalink |
Ziemlich abgefahrener Film über einen Typen, dessen Frau im Koma liegt und der einen nicht vorzeitig kündbaren Jahresvertrag mit einer Organisation mit dem passenden Namen "Bondage" eingeht, deren Mitarbeiterinnen in Leder und Nylon ihm die entsprechenden sexuellen sadomasochistischen Kicks verschaffen sollen. Wie nicht anders zu erwarten, steigert sich das Ganze über den Film hinweg und nimmt bald das gesamte berufliche und private Leben unseres Hauptdarstellers in Beschlag. Es scheint, es gibt kein Entkommen mehr vor den immer mehr abgefahrenen Ideen, die die Organisation entwickelt. Erst nach einem tödlichen Unfall bei einer dieser Leistungen hat unser armer Mann auch noch diese gesamte Organisation am Hals und das Ganze läuft auf einen überdrehten Showdown hinaus. Was hier am skurrilen und schrägen Ideen geboten wird, sucht schon seinesgleichen, ohne dass die Sado-Maso-Handlungen jedoch allzu explizit dargestellt werden. Alles ist auch immer eingebettet in diese stoische typisch japanische Ruhe der wohl 60er- oder Anfang-70er-Jahre, in einem monochromen Fast-schwarz/weiß gefilmt, so dass die S/M-Ausbrüche dafür umso extremer wirken. Auch wenn hier das Ganze am Schluss auch etwas ins Slapstickhafte abdriftet, bleibt doch ein erstaunter Zuschauer zurück, der sich nicht leicht tut, einen vergleichbaren Film zu benennen. Insgesamt eine äußerst originelle, abgedrehte und unterhaltsame Sache, wie man sie eigentlich nur aus Japan erwarten kann. Ach ja, der Film wurde angeblich von einem 100-Jährigen gemacht und ihn kann auch nur ein 100-Jähriger verstehen, deshalb auch das japanische Rating: statt R 18 gibt’s R 100. | |
Fex sah diesen Film im Cinemaxx, Berlin | 08.09.2014, 01:23 |
Ode an die Hiebevon Lovecraft | Permalink |
Wieder einmal stellt sich die Frage, was haben sie nur den Japanern in den Reis gemischt? "R100" fängt so ruhig, geradezu heimtückisch zurückhaltend an, beleuchtet zunächst ausgiebig in matten Farben Familienvater Katayamas graue Existenz, um sich nach und nach in einen Wahnsinn erster Kajüte zu steigern. Den Vogel schießen dabei die Szenen ab, in denen ein überforderter Mitarbeiter des Filmteams einer Gruppe restlos entgeisterter Zuschauer (Produzenten? Zensurbehörde?) Sinn und Zweck der Handlung nahebringen will. Das ist der Level des innovativen Irrwitzes, den ich ein wenig bei "Wrong Cops" vermißt habe und der sich in den letzten Jahren auf dem Filmfest leider rar gemacht hat. Fast schien es, als wären die "Hausu"-, "Symbol"- oder "Survive Style 5+"-Zeiten vorbei – zum Glück war das wohl eine Fehleinschätzung. Das Publikum reagiert wahlweise mit Fassungslosigkeit oder brüllendem Gelächter. Nicht verpassen: Regisseur Matsumoto gönnt sich selbst einen kurzen Gastauftritt als skeptischer Polizist. "R100" wird bestimmt nicht jedem zusagen, für mich stellt er aber genau die Art Film dar, die ich auch künftig auf dem FFF auf keinen Fall missen will. | |
Lovecraft sah diesen Film im Cinemaxx, Berlin | 11.09.2014, 11:47 |
Öde an die Freudevon Herr_Kees | Permalink |
Ein deprimierendes Sozialdrama, aufgeputscht mit S&M? Absurdes Theater, das nahtlos in Exploitation übergeht? Ein Film, der sich selbst nicht versteht und sich daher auf der Metaebene kommentieren muss? Das alles ist R100, und doch klingt das alles interessanter, lustiger und spektakulärer, als der Film tatsächlich ist. Liefen beim deutlich besseren SYMBOL des Regisseurs noch zwei parallele Handlungsstränge auf eine mit Spannung erwartete und gelungene (wenn auch "symbolische") Auflösung zu, so lässt sich bei dieser Aneinanderreihung skurriler Szenen mit jeder Menge monochromem Leerlauf dazwischen keine Sinnhaftigkeit orten. Selbst wer den Witz von RUBBER gut fand, wird hier nicht zwingend nochmal darüber lachen. | |
Herr_Kees | 11.10.2016, 19:31 |
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