Wenn der Verstand zur Tropfsteinhöhle wirdvon Leimbacher-Mario | Permalink |
Demenz ist 'ne gruselige Bitch, das ist keine neue Erkenntnis - aber dieses enorm hochwertige und mitnehmende australische Horrordrama hebt diese Aussage dann doch nochmal auf ein ganz neues Niveau... Wir folgen einer Mutter und ihrer Tochter, die in ihr abgelegenes Familiendomizil fahren und eine kleine Suche starten, da ihre demente (Groß-)Mutter verschwunden ist. Doch als diese plötzlich zurückkehrt, fangen die seltsamen Erscheinungen und creepy Ereignisse erst richtig an, was alle drei Frauen und ihre Verbundenheit zueinander auf eine arge Probe stellt... Man könnte „Relic“ als Post Horror-Version des ebenfalls sehr starken, aber sich stilistisch nahezu gegensätzlich verhaltenden „The Taking (of Deborah Logan)“ beschreiben - nur wie gesagt wesentlich ruhiger, emotionaler und nahezu ohne Effekthascherei oder Jumpscares. Der Horror findet hier sowohl auf einer metaphorischen, psychologischen als auch auf einer ganz realen, familiären und schmerzlichen Ebene statt. Horror und Schmerzen, Familie und Verbundenheit, Verlust und Einsamkeit, Vertrauen und Grauen, Veränderung und Verfall, Erbe und Liebe, Gift und Galle. All das sind Punkte und Aspekte, die Regisseurin Natalie Erika James mit ihrem sicher sehr persönlichen Werk anspricht. Und mich hat das volle Kanne ins Mark, ins Herz und ins Angstgefilde des Gehirns getroffen. Eine rare Kombi - aber dafür umso lohnenswerter und bleibender! Und wann hat man das letzte Mal bei einem Grusler eine vollkommen verdiente Träne verdrückt?! „The Relic“ muss nicht direkt in eine Liga mit jüngeren Klassikern des Fachs gehoben werden - aber er müsste sich davor auch nicht fürchten! Selbst wenn er natürlich auch wieder einigen Zuschauern zu verkopft und „un-horror“ daherkommen wird. Doch jeder, der sich auf ihn einlässt oder gar selbst Erfahrungen gemacht hat mit der hinterhältigen Hirnschmelze, der wird fürstlich entlohnt, bei dem wird „The Relic“ noch lange unter der Haut bleiben, für den mag das vielleicht sogar zu harte Kost sein, schwerer im Magen liegen als es Splatter und Gekröse je könnten. Besonders loben muss ich alle drei Ladies, die ihre Sache einfach nur riesig machen, bei denen ich gar keinen des Trios besonders hervorheben will/kann. Insgesamt ein bockstarkes Gesamtpaket und einer für meine Jahresbestenliste. Fazit: Nicht nur einer der gruseligsten, sondern auch emotionalsten und schmerzhaftesten Filme des Jahres. Erst recht bei persönlicher Erfahrung mit Demenz. Fein, fürchterlich, filigran. Überraschend traurig und echt. Post Horror at its finest. Für Fans vom „Babadook“ bis „Under The Skin“, von „Hereditary“ bis „Ich seh, Ich seh“. Alzheimer ist der Horror. Aber es geht noch viel tiefer... Australischer, metaphorischer Gourmethappen! | |
Leimbacher-Mario | 23.07.2020, 21:18 |
Has Oma lost her mind in her Oberstübchen?von Alexander | Permalink |
Recht atmosphärischer und stimmungsvoller „Haunted House“ - Grusler aus Down Under, schön gefilmt und mit einer wirklich bemerkenswerten Tonspur, die einem alle Nackenhaare aufstellen lässt. Irgendwo zwischen „The Visit“ und „The Babadook“ angesiedelt, schafft es der Film wahrscheinlich auch die erfahrenen Geisterhaus-Fans abzuholen, überzeugte mich insgesamt aber leider nicht wirklich. Mir gefiel Bella Heathcote als Enkelin extrem gut. Auch die relative Unvorhersehbarkeit der Geschichte kann punkten, aber wenn wir ehrlich sind, klaut „Relic“ die Versatzstücke zahlreicher anderer „Geister“-Filme bis hin zu „Ju On“ recht ungeniert, und hat außer der Idee der an Demenz leidenden Großmutter nichts Neues zu bieten, die mich entgegen eines anderen Rezensenten aber leider nicht emotional berühren konnte und deren Spiel sich im Film recht schnell abnutzt. „Relic“ gipfelt in einem recht seltsamen Ende, das zwar Raum für Interpretationen bietet, mich aber etwas ratlos zurückgelassen hat. Ein netter Film für den 14 Uhr Slot auf dem Fest, das war er für mich aber auch schon - ich hätte mehr erwartet. | |
Alexander | 26.07.2020, 19:38 |
Es bleibt in der Familievon D.S. | Permalink |
Ich hatte im Vorhinein schon Gutes gehört, aber das hatte ich dann doch nicht erwartet: RELIC hat sich als eins meiner persönlichen Film-Highlights des Jahres entpuppt. Dass es sich hierbei um das Spielfilmdebüt einer mir bis dato völlig unbekannten australischen Jungregisseurin handelt – die im kurzen Video-Intro ausnehmend sympathisch herüberkommt –, kann ich kaum glauben, so atmosphärisch dicht, finster und clever ist die Story inszeniert. Dabei handelt es sich um einen jener raren Glücksfälle, in denen ein Film über einen sehr ernsthaften, schweren, filigran mit der Handlung verwobenen Subtext verfügt, der ihm eine Wertigkeit weit über das unmittelbare Filmerlebnis hinaus verleiht – er gleichzeitig aber auch rein aufgrund seiner Oberflächenreize als immer fesselnder, zeitweise wirklich beängstigender oder sogar verstörender, den Herzschlag ganz ohne Jump-Scares beschleunigender Genrefilm funktioniert. Sprich: Wer denken, analysieren, interpretieren will, ist bei RELIC bestens aufgehoben; wer einfach nur ein Kinoerlebnis der Sorte „creepy as hell“ sucht, allerdings genauso. Bei der Vorführung in Frankfurt war es mucksmäuschenstill im Saal und zum Abspann gab es reichlich Applaus: Angesichts des allgemein eher splatterfreudigen hiesigen Publikums hat das durchaus was zu heißen. Ja, der Film lässt sich zunächst ein wenig Zeit, um Atmosphäre aufzubauen. Die wird allerdings gut genutzt, denn ist die verwunschen-verloren-hoffnungslose Stimmung im heruntergekommenen Herrenhaus am Rande des Nirgendwo erstmal in voller Pracht erblüht, lauert der kalte Schauer auf dem Rücken hier an fast jeder Ecke. Die Nerven werden bis zum Zerreißen gespannt. Erleichterung folgt nicht immer. Und spätestens, als die Handlung im Finale wirklich unvorhersehbare Haken schlägt, erreicht der Horror eine buchstäblich neue Dimension. Wie erwähnt, unter der die Luft abschnürenden Oberfläche aus Haunted House, Ekel und panikbefördernder Perspektivverschiebung lauern zudem alles andere als leicht verdauliche Themen aus der Welt der menschlichen Befindlichkeit. Demenz, Vergänglichkeit, interfamiliäre Entfremdung, Distanz, Kälte, emotionale Wunden: Die Tagline des Films lautet nicht zufällig „Everything decays“, und das bezieht sich nicht nur auf das Haus. Diskussionen über tiefer liegenden Inhalt und Bedeutung von RELIC können Seiten füllen; ich beschränke mich an dieser Stelle mal auf die Aussage, dass mich lange kein Genrefilm mehr so beeindruckt und gleichermaßen intellektuell gefesselt wie gegruselt hat. Ein BABADOOK ohne nerviges Kindergeschrei, ein HEREDITARY ohne Kunst-Attitüde: 8,5 von 10 Punkten. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 11.09.2020, 04:58 |
Help the agedvon Herr_Kees | Permalink |
„Flush“ und „Take pills“ steht auf Zetteln verteilt in Ednas Haus. Aber eben auch „Don‘t follow it“... Der größte Horror für viele ist, wenn einem die engsten Familienmitglieder auf einmal unheimlich werden. Wenn sich die Rollen umkehren und man plötzlich die Last der Verantwortung auf sich spürt. RELIC ist eine höchst ungewöhnliche, in jeder Hinsicht extrem spannende und zudem sehr interessant gefilmte Auseinandersetzung mit dem Thema Alter und Demenz. Selten zuvor fand ein Film so starke Bilder für körperlichen und geistigen Verfall. Der Schimmelverantwortliche der Produktion hat hier ganze Arbeit geleistet. Eindrucksvoll ist auch das Spiel der drei Generationen-Darstellerinnen – Roby Nevin schafft es sogar, einem beim Zähneputzen einen Schauer über den Rücken zu jagen. Doch nicht nur als Metapher, auch als Genrefilm funktioniert RELIC ausgezeichnet – von der unheimlichen Anfangsszene über den Slow Burner Mittelteil bis zum zunehmenden Terror. Das unkonventionelle Ende wird einigen zu weit gehen, anderen nicht weit genug. Für diesen Film ist es genau das richtige. | |
Herr_Kees sah diesen Film im Metropol, Stuttgart | 25.09.2020, 00:57 |
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