crazy

Mad Detective

Die inneren Werte zählen

von D.S.
Bei weitem nicht so stylisch wie die meisten seiner letzten Werke - aber trotzdem ein typischer Johnnie To: "Mad Detective" bietet routiniert inszenierten Thrill, eine komplexere Story und vor allen Dingen extrem facettenreiche Charaktere. Im wahrsten Sinne des Wortes: unsere Hauptfigur, der namengebende "Mad Detective" Bun, besitzt nämlich die Fähigkeit, die innere Persönlichkeit eines jeden Menschen zu sehen. Diese unterscheidet sich oft sehr von der nach außen gezeigten. Und manche Menschen haben sogar weit mehr als nur eine innere Persönlichkeit...

Aber Bun hat noch weit mehr Fähigkeiten: er kann sich auf schier übernatürliche Weise in andere Personen, aber auch in x-beliebige Geschehnisse hineinversetzen, sie nachempfinden - und damit auch die kompliziertesten Kriminalfälle lösen. Ganz einfach, indem er einen Schlüsselmoment nachspielt. Oder auch nur einen entsprechenden Zeitungsartikel genau betrachtet.

Nur ist Bun inzwischen kein Kommissar mehr. Er wurde entlassen, nachdem er seine Kollegen und Vorgesetzten einmal zu oft und zu extrem durch sein unvorhersehbares Verhalten schockiert hat. Seit fünf Jahren lebt er zurückgezogen mit seinen Erinnerungen und Fähigkeiten. Bis ihn sein ehemaliger Auszubildender aufsucht, der Hilfe beim Lösen eines hoch aufgehängten Falles benötigt: ein führender Kommissar ist vor 18 Monaten verschwunden, seitdem wurden mehrere tödliche Überfälle mit seiner Dienstwaffe durchgeführt. Verdächtig ist sein damaliger Patrouillenpartner. Aber dem ist nicht das Geringste nachzuweisen...

Was sich im Folgenden entspinnt, ist zwar einerseits tatsächlich ein Polizeithriller rund um den doppelbödigen Fall, um Intrigen, Lügen und Vertrauen. Von der Dutzendware unterscheidet er sich allein schon durch die Fähigkeiten von Bun, die mitunter einiges an Aufmerksamkeit vom Zuschauer verlangen - denn oft weiß man zunächst gar nicht so genau, ob eine Figur eigentlich gerade WIRKLICH da ist oder nur von Bun gesehen wird.

Darüber hinaus entwickelt sich "Mad Detective" aber immer mehr auch zu einem durchaus nahe gehenden menschlichen Drama, denn es ist schnell klar, dass es um den Geisteszustand von Bun nicht zum Besten steht. Dabei wird der Film aber niemals kitschig - was neben dem ruppigen Flair von Kowloon vor allem dem kongenial besetzten Lau Ching Wan geschuldet ist, einer von Johnnie Tos Lieblingsschauspielern und meiner Meinung nach auch einer der besten Akteure Hong Kongs. Er vermittelt die Skurrilität seines Charakters und der Situationen, in die er sich und andere bringt, ohne jemals in Albernheit oder eben Kitsch abzugleiten; verleiht ihm eine Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit, die echtes Interesse an seinem Schicksal erwecken.

Stellenweise wünscht man sich dennoch, "Mad Detective" wäre etwas kompakter inszeniert und würde vielleicht auch ein paar mehr Actionelemente enthalten. Die wenigen, die es gibt, sind gewohnt fantastisch inszeniert; das letzte Drittel des Films ist nicht nur in dieser Hinsicht fesselnd. Aber bis dahin fehlt stellenweise doch ein wenig das Tempo - und für meinen Geschmack war die Krimistory längst nicht verschachtelt genug angelegt oder auch einfach nur: interessant genug.

In gewisser Hinsicht ist "Mad Detective" also ein Zwitter - aus Drama und Thriller, wobei der Dramaanteil überraschenderweise fast spannender ist. Die eigentliche Rahmenhandlung ist jedoch nicht stark genug, den Film über seine gesamte Laufzeit zu tragen. Da ist man von To einiges mehr an Finesse gewöhnt - so sind das für mich leider nur 6,5 Punkte. Aber allemal einer der ungewöhnlicheren Filme des Festivals und eine Empfehlung für alle, die auch einen nicht ganz so "reinrassigen" Film genießen können.
D.S.
sah diesen Film im Metropolis 6, Frankfurt

30.08.2008, 05:34



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