crazy

Sympathy for Mr. Vengeance

Zerfetzte Magengruben

von Mirco Hölling
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Ein junger Taubstummer versucht für seine nierenkranke, dahinsiechende Schwester ein Austauschorgan zu organisieren. Auf offiziellem Wege ist nichts zu machen, also wendet er sich an illegale Organhändler, die ihm gegen 10 Mio. Won und eine seiner Nieren eine Niere für seine Schwester beschaffen wollen. Unglücklicherweise wird genau zu dem Zeitpunkt eine legale Niere frei, die aber ebenfalls 10 Mio Won kostet. Das Geld ist jedoch weg und die Verlässlichkeit der Organhändler eher fragwürdig. Also beschließt er mit seiner Freundin, einer linken Aktivistin, die kleine Tochter seines früheren Arbeitsgebers zu entführen, um das nötige Geld zu erpressen. Bis dahin läuft alles glatt, aber es kommt natürlich, wie es kommen muss. Alles läuft schief und eine regelrechte Racheorgie nimmt seinen Lauf. Sympathy for Mr. Vengeance ist nicht nur ein Schlag in die Magengrube. Der gesamte Unterleib wird regelrecht weggefetzt. Ein trostloseres, deprimierenderes Stück Kino hat es wohl seit Jahren nicht mehr gegeben. Park Chan-wook, der junge Regisseur dieses Meisterwerks, hat vorher mit dem (mal wieder) erfolgreichsten koreanischen Film aller Zeiten – "Joint Security Area" – auf sich aufmerksam gemacht. Ein Film, der auch im Westen durchaus für Furore sorgte, weil Politik und Moral schon lange nicht mehr so unterhaltsam rübergebracht wurde. Ein intelligenter Blockbuster, zu welchem Vergleichbares im Mutterland des Entertainmentkinos, den USA, lange nicht mehr produziert wurde. Und nun sein zweiter Film. Das Thema "Blockbuster" dürfte sich erst mal erledigt haben, denn einem normalen Publikum vorgesetzt, würden diesen Film wohl kaum 50 % der Zuschauer überstehen. Leider ist mir über die Vorstellungen auf der kürzlich zu Ende gegangene Berlinale 2003 nichts zu Ohren gekommen. Fröhlichkeit dürfte "Sympathy for Mr. Vengeance" nicht entfacht haben. Wer nun glaubt, einen genialen Terrorschocker à la "Audition" aufgetischt zu bekommen, sieht sich allerdings getäuscht. "Sympathy" ist hochintelligentes subtiles und anspruchsvolles Kino. Ein Drehbuch voller Detailverliebtheit und kluger Ideen ist dort vom Autoren-Team um den Regisseur geschaffen worden. Gepaart mit einer Regie die seinesgleichen sucht, ist der Film einer der besten Neo-Noir-Thriller seit die Coen-Brüder im Kommerz versunken sind. Chan-Wooks zweiter Film vereint eine ruhige und irgendwie seltsam bedrückende Noir-Atmosphäre mit surrealen Momenten, Geräuschen und Stimmungen, die u.a. auch an Lynchfilme gemahnt. Die Bildgestaltung ist farbenfroh und satt, andererseits aber ruhig und statisch. Totalen, schräge Kamerawinkel und –positionen und sogar Vogelperspektiven sind bevorzugte Stilmittel des Kameramanns. Wie aus vielen japanischen und koreanischen Filmen bekannt, wird durch die statische Kamera eine sehr eigentümliche Atmosphäre des Beobachtens fabriziert. Auf den Gebrauch von Musik wird fast komplett verzichtet. Wenn, dann ist diese aber verstörend und bedrückend. Getragen wird der Film letztlich durch das minimalistische aber treffende Spiel der exzellenten Hauptdarsteller (wobei die beiden männlichen Hauptrollen schon bei JSA begeisterten). Soviel (körperlicher und seelischer) Schmerz wie in diesem Film habe ich lange nicht mehr Menschen auf der Leinwand überzeugend ertragen sehen. Unwillkürlich gerät man in den alten Kinderreflex und möchte sich die Hand vor die Augen legen, weil es irgendwann dann doch ein bisschen viel wird. Andererseits dachte sich Herr Chan-Wook wohl, warum er etwas schönen soll, was nicht schön ist. Wenn bei "Sympathy" gestorben und verletzt wird, dann tut das richtig weh (auch wenn dieser Satz zur Floskel verkommen ist, hier ergibt er wirklich Sinn). Auch der seelische Schmerz der Hinterbliebenen der zahlreich Dahingerafften ist geradezu greifbar und nur sehr schwer zu verdauen. Apropos "schwer verdauen": Sprach ich schon über die miesen und gemeinen Folter- und Todesarten und die schmerzerzeugenden Spezialeffekte? Alleroberstes Niveau und keine CGI-Scheisse. Alles schön altmodisches Kunstblut. Die Story konterkariert Revenge-Streifen à la "Death Wish" ("Ein Mann sieht Rot") und zuletzt "Ransom" ("Kopfgeld"). Hatte man hier tatsächlich "Sympathie" mit Mr. Vengeance stellt sich dies im nun vorliegenden Film etwas anders dar. Die Geschichte ist dermaßen komplex im Aufbau, dass schlussendlich eigentlich jeder Beteiligter sowohl Opfer als auch Täter ist. Und nahezu jeder rächt sich auch aufgrund eines schmerzlichen Verlustes an irgendjemand anders. Am schlimmsten ist jedoch: alle Motive sind nachvollziehbar. Gut oder Böse gibt es nicht, zumal die Erzählperspektiven ständig wechseln. Trotz aller Tristesse und Hoffnungslosigkeit ist "Sympathy" wie auch schon JSA ein zutiefst moralischer Film, wobei Chan-Wook jedoch auf Wertungen und Moralisieren verzichtet. Er bildet ab, dramatisiert und lässt den Betrachter selber zu einem Schluss kommen. Wenn der Mensch verzeihen könnte, würde so manch eine negative Folge ausbleiben, meint man als Botschaft herauszuhören. Eine ähnliche Quintessenz wie sie uns schon das letztjährige Meisterwerk "Irréversible" von Gaspar Noé auf vergleichbar komplexe Weise vermittelt hat. Auf Park Chan-wook sollte man ein bis zwei Äuglein werfen und beobachten, was aus diesem genialen und erfreulicherweise jungen Hirn noch für cineastische Leckerbissen entspringen. Abschließend noch ein Tip für Menschen, die mit Leib und Seele Eltern sind und für die Hege und Pflege ihrer Kinder den rechten Arm hergeben würden: Meidet diesen Film wie der Teufel das Weihwasser, weil Ihr schlaflose Nächte bekommen werdet!!!! Mirco Hölling (18.02.2003)
Mirco Hölling

02.06.2003, 10:26



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