MTV get off the Air...!von D.S. | Permalink |
Ich halte nichts von Kulturpessimismus. Sei es nervenraubende Handyklingelton-Werbung, sei es Paris Hilton, sei es die nächste Generation von Aggro-Berlin-Prolls: Bei jeder neuen Trash-Katastrophe schreit die etablierte Medien-, Pädagogen- und Sittenwächtermeute vereint auf, als stünde der Untergang des Abendlandes bevor. Dabei ist das doch alles unerheblicher Kram, und wer sich über so etwas ernsthaft aufregt, zeigt m.E. nur, daß er sich nicht mit den wirklich gefährlichen Dingen auseinandersetzen mag.
Nach (bzw. sogar schon bei) Betrachten von "Casshern" bin ich dann allerdings ausnahmsweise auch mal dabei, mir Gedanken zu machen. Zu realisieren, welch üblen Einfluß die Popkultur der Gegenwart tatsächlich auf Menschen haben kann. Und Jello Biafras alte Forderung (siehe Titel des Reviews) neu zu überdenken.
Regisseur Kazuaki Kiriya ist ungefähr in meinem Alter, also aufgewachsen mit Computerspielen, immer schrilleren Comics und Cartoons - und natürlich mit MTV im Übermaß. "Casshern" ist sein Debütfilm, bis dahin produzierte er in erster Linie, erraten, Musikvideos. Und all das schlägt sich aufs übelste in seinem Film nieder: er fühlt sich an wie 140 Minuten MTV-Dance-/Trance-Videoclips ohne Pause (weitestgehend abzüglich der in jenen ab und an vorzufindenden nackten weiblichen Gliedmaßen).
Jetzt könnte man versucht sein zu denken: "Wow, cool, das heißt ja, schnelle Schnitte und aufregende Bilder!", und in der Tat äußern ja auch die meisten Rezensenten, daß sie von der visuellen "Wucht" des Films begeistert seien. Mir ist allerdings nicht ganz klar, weshalb. Denn "Casshern" hat zwar zweifellos eine Menge schöner Bilder, nett anzuschauender Sequenzen zu bieten. Allerdings wirkt das ganze nur so lange beeindruckend, wie man jede dieser Sequenzen für sich allein betrachtet: in der Gesamtheit fehlt der visuellen Komponente des Films jede Stringenz, jede Geschlossenheit, jeder Zusammenhang. Wir erleben hier eine Tour-de-force durch unterschiedlichste Stilmittel, allesamt möglichst flashig, bunt, grell quietschend und blubbernd und scheppernd; alles ist darauf angelegt, möglichst laut und atemberaubend zu wirken, vermutlich, um so den fehlenden Inhalt zu überdecken - schafft aber gerade dies nicht. Denn durch den Einsatz so vieler verschiedener Gestaltungsmittel erscheint der Film schlußendlich als ein einziges, unbeholfenes Mischmasch, zusammengeschüttet und schlecht verrührt von jemandem, der sich endlich mal richtig austoben durfte. Um dabei ein Gebräu abzuliefern, das garantiert keine Geschmacksvielfalt, sondern -kakophonie demonstriert. Alles rein tun, was brummt, dann wird auch das Ergebnis brummen. Irrtum, es ist einzig der Schädel, der nach 140 quälend langen Minuten brummt...
Hinzu kommt noch, daß längst nicht alle Bildsequenzen, auch nur für sich genommen, interessant zu nennen sind, vielfach verharren wir vor öd einfarbigen Hintergründen, in kahlen Kulissen ohne Bewegung und Leben, oft gar sind die Computeranimationen nur infantil-peinlich - als etwa in einer Sequenz eine gigantische Mecha-Armee gegen die Menschheit marschiert, lag ich vor Lachen unter dem Tisch. Auch wenn es hier farbenfreudige Explosionen en masse zu sichten gibt: die Dinger sehen aus, wie von einem hyperaktiven 8jährigen gezeichnet.
Und was die zu vermutenden "schnellen Schnitte" angeht: nur allzu häufig Fehlanzeige. Erleben wir nicht gerade eine Kampf-/Action-Sequenz, wirkt es im Gegenteil oft eher so, als sei der Kameramann eingeschlafen. Gerade nach den ersten 20 Minuten des Films dauert es sehr lange, bis wieder Fahrt aufgenommen wird, hier (und auch später) offenbart "Casshern" einige quälende Längen - und die sind nicht nur dem Inhalt geschuldet.
Ach ja, der Inhalt. Hierzu wurde ja schon vieles gesagt, ich halte mich also zurück, zur Story ist bereits fast alles im Programmheft und in anderen Reviews zu lesen. Nur so viel: zum Beginn des Films ist der Handlung nicht immer ganz einfach zu folgen. Hat man die Exposition aber einmal hinter sich gebracht und die Figurenkonstellationen verinnerlicht, so verbleibt fast nichts, was man über den weiteren Verlauf des Ganzen nicht exakt vorhersagen könnte. In der Abfolge der Geschehnisse und vor allem in seiner Aussage ist "Casshern" plakativ bis ins Extrem, und ich finde es schon schwer verwunderlich, daß ein inhaltlich so primitives Machwerk weltweit so viele (Genre-)Lorbeeren einheimsen konnte. Krieg ist schlecht; alle Menschen, die sterben, sind doch auch alles Menschen, die sterben; wir sollten uns alle viel mehr lieb haben; Fortschritt hat auch seine schlechten Seiten... Aua, es fehlt bloß noch der große "Atomkraft nein danke"-Schriftzug zum Ende des Abspanns. Kurz gesagt: wer mit Grönemeyer betroffen und mit Michael Moore politisch pfiffig unterwegs ist, wird sich mit den aufgestülpten, aber klaren Botschaften von "Casshern" vermutlich sehr wohl fühlen. Alle anderen schütteln irritiert bis peinlich berührt den Kopf und halten Ausschau nach einem wirklich kritischen Film, der sich nicht in Allgemeinplätzen und Offensichtlichkeiten verliert.
Fazit: Schwer zu ertragender Big-Budget-Kitsch, pathetisch, platt, inhaltlich einer der schwachbrüstigsten Genrefilme der letzten Jahre. Viel zu lang, da oftmals viel zu langatmig. Zwar farbgewaltig, dabei aber übersättigend und ermüdend, einen großen Kater hinterlassend. Ein Möchtegern-innovativer, aufgeblasener MTV-Clip, von dessen Sorte man nicht unbedingt noch weitere erleben möchte. Vermeiden dringend angeraten.
PS: Die Hakenkreuz-Anspielungen im Film kann man zwar, wie ein anderer Reviewer, als "eine böse Reflexion auf Faschismus" werten. Das kann man aber auch ganz anders sehen, schließlich ist es die Mutanten-Armee, deren Fahnen und Standarten von jenem Symbol geziert werden... und diese Kreaturen werden vom Film weitgehend als arme Opfer der rücksichtslosen und machthungrigen Menschen dargestellt, eigentlich als ehrenvolle, unschuldige Geschöpfe. Kann einem durchaus auch Bauchschmerzen bereiten. | |
![]() | 09.08.2005, 18:26 |
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