Sherlock Holmes, süß-sauervon D.S. | |
Eins vorweg: der Titel "Blood Rain" ist ein wenig irreführend. Der namensgebende Niederschlag spielt zwar eine nicht völlig unerhebliche Rolle für die Handlung dieses koreanischen Historien-Krimis, mit ausufernden Gewaltexzessen oder eben hektoliterweise sich über die Leinwand ergießenden Körperflüssigkeiten darf hier aber keinesfalls gerechnet werden. Denn auch, wenn der Film über eine handvoll Momente verfügt, in denen nicht zimperlich zur Sache gegangen und sehr phantasievoll gestorben wird - Momente, die fast immer unvermittelt kommen und darum besonders effektiv wirken -, ist die Handlung insgesamt keine körper-, sondern viel mehr eine kopfbetonte Sache. Tatsächlich erinnert das ganze vielfach an eine eigenwillige Sherlock Holmes-Variante: der auf sich allein gestellte, hochintelligente und clever kombinierende Ermittler, der mit einem mysteriösen Kriminalfall konfrontiert wird, wobei es so aussieht, als seien auch übersinnliche Faktoren im Spiel. Ein Äquivalent zu Dr. Watson fehlt zwar, dafür aber sind jede Menge sonstige Ähnlichkeiten zu den klassischen, intellektuell fesselnden Detektivgeschichten vorhanden. Auch das Rätsel von "Blood Rain" wirkt wie ein großes, verworrenes Puzzle, das sich nur mühsam zusammenfügen läßt - rote Heringe und überraschende Erkenntnisse inklusive. Für meinen Geschmack aber eindeutig etwas ZU mühsam. Wobei das jedoch weniger an der Story selbst liegt, als an ihrem Aufbau, der Einführung der Figuren, naja, sagen wir mal: den Rahmenbedingungen, mit denen man als Nicht-Koreaner hier zu kämpfen hat. Ich bin weiß Gott alles andere als ein Anfänger, wenn es um asiatische Filme geht, und habe normalerweise keine größeren Probleme etwa beim Auseinanderhalten verschiedener Figuren. "Blood Rain" aber macht es einem wirklich sehr schwer: Es gibt eine zweistellige Zahl an Figuren, die tief ins Geschehen verwickelt sind, und die meisten davon werden eingeführt, ohne daß man sie dazu auch sieht. In hektischen Aufzählungen Dritter werden jede Menge (oft ähnlich klingende) Namen heruntergebrettert, die Gesichter dazu sieht man erst viel viel später, doch der Film erwartet, daß man in diesem Moment dann sofort in der Lage ist, sie einander zuzuordnen. Das klappt aber nicht immer; dazu spielen hier einfach zu viele Charaktere lange schwer einzuschätzende Rollen, und noch dazu tragen sie fast alle sehr ähnliche (Gesichts-) Haartrachten und Kleidung. Was dazu führt, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der Handlung zunächst mal recht zusammenhanglos bis sogar irritierend am europäischen Betrachter vorbeifließt, bzw. dazu, daß man sich in einigen der Handlungsstränge, Beziehungsbeschreibungen oder gar Storyfinten verirrt. Spätestens ab der Hälfte der Laufzeit aber verliert dieses Problem natürlich an Bedeutung, und weil dann auch einzelne Schwächen im Storyaufbau und entsprechende Längen überwunden sind und bleiben, sieht man sich nun endlich einem zweifelsfrei hochklassigen, intelligenten und zunehmend dramatischen Krimi gegenüber, der auch nicht an Production Values spart. Gute Darsteller, einige große und schön komponierte Bilder sowie die erwähnten non-linearen Storywendungen (samt einiger, manchmal aber schwer sofort als solcher zu erkennenden, Rückblenden) haben eine befriedigende und fesselnde Wirkung. Irritierend ist dabei aber manchmal der Soundtrack: ein orchestraler, klassisch dramatischer Score, der jeder teuren Hollywood-Produktion gut zu Gesicht stehen würde - bei einem Setting im isoliert ländlichen Korea von vor 200 Jahren aber doch eher fehl am Platz scheint. Das ist aber auch das einzige, das hier für meinen Geschmack wirklich nicht paßt. Alles andere fügt sich zu einem funktionierenden, bis zuletzt interessanten Ganzen, wobei nicht einmal der stückweise arg hohe Moralkeulen-Gehalt der Story selbst ernsthaft stört, da er doch überwiegend nicht selbstgerecht dasteht, sondern im Rahmen der Handlungsentfaltung durchaus eine nicht unwichtige Funktion und somit auch Legitimation hat. Ach ja, die Story. Mal ganz kurz zusammengefaßt. Wir befinden uns am Anfang des 19. Jahrhunderts auf einer vom koreanischen Festland weitgehend (und bewußt?) isolierten Insel, deren Existenzgrundlage die Produktion qualitativ besonders hochwertigen Papiers darstellt. Vor sieben Jahren wurde KANG, der Besitzer der Papiermühle (? Laut Untertiteln jedenfalls "Paper Mill") , ein auf der Insel allseits geschätzter bis verehrter, großzügiger Mann, hingerichtet, da er der Todsünde für schuldig befunden wurde, Katholik zu sein. Nicht nur aufgrund der Grausamkeit dieser Geschehnisse (alle vier Mitglieder seiner Familie wurden an aufeinanderfolgenden Tagen, vor ihm, auf selten bestialische Weise umgebracht), sondern auch, weil bei der Urteilsfindung damals wohl nicht alles ganz sauber lief, ist die Inselbevölkerung seitdem davon überzeugt, daß der Geist von KANG nur auf die richtige Gelegenheit warte, sich zu rächen. Einmal jährlich findet darum ein Bet- und Opferritual statt, mit dem man u.a. den bösen Geist besänftigen möchte. Dieses Jahr aber scheint es nicht eben erfolgreich zu verlaufen: die Schamanin spuckt Blut und spricht in Stimmen von der bevorstehenden Rache des Gemordeten und der Auslöschung des Inselvolks. Als dann noch das Handelsschiff samt seiner papiernen (Tribut-) Ladung in Flammen aufgeht und ein Mitglied der Dorfgemeinschaft gepfählt aufgefunden wird, wird eine Ermittlungseinheit unter Kommissar WON-KYU vom Festland gerufen, um das Geschehen aufzuklären. Jener muß allerdings schnell feststellen, daß es hier noch einiges mehr aufzuklären gibt, daß einiges davon tatsächlich unangenehme Fragen aufwirft, und daß nicht jeder im Dorf Interesse daran hat, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen... selbst dann nicht, als offenbar wird, daß es Tag um Tag ein neues, blutiges Opfer gibt: allesamt Männer, die KANG dereinst als Katholik denunziert hatten. Handelt es sich hier also doch um die gnadenlose Rache seines Geistes? Der Film beantwortet diese Frage für den Zuschauer nicht etwa früher als für seine Protagonisten, die Spannung bleibt also bis zuletzt erhalten. Und wie gesagt, im letzten Drittel von "Blood Rain" zieht sie konsequent kontinuierlich an - ohne daß dabei versäumt wird, soziopolitische Statements abzugeben. Wie auch immer: wie alle gelungenen Vertreter seines Genres schafft es der Film ein ums andere Mal, den Zuschauer zu involvieren und seinen Kombinations- bzw. Jagdgeist anzufachen. Unweigerlich werden vom Publikum mögliche Lösungen durchgespielt, mögliche Verantwortliche gesucht und ihre Rollen/ihre Interessen/ihre Alibis überprüft, mögliche Ausgänge der Geschichte antizipiert - und das alles vor einem beeindruckend gestalteten Hintergrund. Kurz: "Blood Rain" zieht den am Genre Interessierten fast sicher in seinen Bann, vermutlich auch den eher neutralen Zuschauer - nur leider erst relativ spät. Wie geschildert, dauert es eindeutig zu lange, bis das komplizierte Set-Up greift. Und die großteils fesselnden letzten 50 Minuten können die großteils zu langatmigen 70 Minuten davor nicht wirklich vergessen machen. Deshalb nur 6,5 Punkte - aber: insbesondere für Genrefans und Rätselrater durchaus ein gelungener, origineller, in sich weitgehend stimmiger Film. | |
![]() | 14.06.2006, 17:27 |
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