Redirected

Welcome to Lithuania

von D.S.
Guy Ritchie goes Osteuropa, hat auf dem Weg dorthin aber einiges an scharfem Witz, inszenatorischer Brillanz und Originalität liegengelassen: So könnte man REDIRECTED vielleicht am besten umschreiben, den britisch-litauisch koproduzierten Versuch, einen neuen Klassiker des "Cool Britannia"-Gangsterkinos zu erschaffen – ein Genre, das eben Mr. Ritchie quasi im Alleingang etabliert hat und dessen Hochzeiten dem geneigten Fan harter Schlägertypen in dummen Situationen und tarantinoesker Storyentwicklungen Filmperlen wie SNATCH oder LOCK, STOCK AND TWO SMOKING BARRELS verschafft haben.

Absolut alles an REDIRECTED riecht nach diesen großen Vorbildern, addiert noch einen Spritzer HANGOVER und – vom Lokalkolorit her – leichte Anklänge an Kusturica-Werke wie SCHWARZE KATZE, WEISSER KATER hinzu, fertig ist der perfekte Rip-off. Klar, wer da dann in den Credits nicht fehlen darf: Vinnie Jones, wer sonst, in einer relativ großen Rolle. Der macht seine Sache auch ausnehmend gut und ist durch seine gewohnt souveräne Verkörperung eines charismatisch-brutalen Gangsterbosses allein fast Grund genug für eine Sichtung des Films. Allerdings variiert er diese Rolle, die er inzwischen schon sooo oft gespielt hat, auch hier nicht im Geringsten – das ist fast schon eine Art "Stereotyping".

Allerdings ist das bei REDIRECTED ohnehin Programm: Der größte Teil der Handlung um vier Freunde aus London, die im April 2010 eine Gruppe Schwerkrimineller ausrauben, sich dabei jedoch so dämlich anstellen, dass jene sogleich die Verfolgung aufnehmen können, spielt in Litauen – eigentlich wollten unsere Protagonisten mit ihrer Beute das süße Leben in Malaysia genießen, aufgrund des Ausbruchs des unaussprechlichen isländischen Vulkans wurde ihr Flug jedoch nach Vilnius umgeleitet. Und man könnte glatt meinen, das in diesem Film gezeigte Bild der litauischen Bevölkerung sei von der BNP gemalt worden: Hier ist fast ausnahmslos jeder ein korrupter, gewalttätiger, asozialer oder gleich degenerierter Verbrecher, der nichts anderes im Kopf hat, als ehrenwerte Engländer über den Tisch zu ziehen. Beziehungsweise totzuschießen. Sicher, das führt zu amüsanten Konfrontationen und bösen Witzen; in gewisser Hinsicht macht sich der Film durchaus auch über die von ihm serienweise verbratenen Klischees und Vorurteile lustig. Dennoch macht sich da auf Dauer ein etwas ungutes Gefühl breit – denn es fehlt eine klare, smarte Konterkarierung, wie sie etwa SNATCH im Bezug auf die "Zigeuner" um Brad Pitt zu bieten hatte.

So begleiten wir also die vier verplanten Freunde bei ihrer alptraumhaften Reise durch die Ostblockprovinz, von einer Traufe in die nächste schlitternd; immer an ihren Fersen klebend die Gangster um Vinnie Jones, die ebenfalls eindrucksvolle Erlebnisse mit der lokalen Unterwelt (also quasi allen Litauern, denen sie begegnen) haben. Da unsere Hauptfiguren einander – und ebenso das Diebesgut – bald aus den Augen verlieren, laufen über die meiste Zeit des Films mehrere Handlungsstränge parallel zueinander ab, was für einige Abwechslung und relativ viele unterschiedliche groteske Situationen sorgt. Zum Glück, denn dadurch gibt es immerhin ein paar, die wirklich lustig sind, und so wird auch geschickt darüber hinweggetäuscht, dass das eigentliche Tempo der Handlung gar nicht mal so arg hoch ist und ihre Eskalation, wenn man genauer hinschaut, am Ende gar nicht mal so weit getrieben wird, wie es möglich gewesen wäre.

Es wird einfach in keiner Hinsicht das Niveau der großen Vorbilder erreicht, dafür fehlen dem Drehbuch die Vielschichtigkeit und Ironie sowie der Inszenierung die Geschwindigkeit und Exaktheit. Allerdings ist das auch eine extrem hohe Messlatte. Übersehen wir die für den Moment, dann ist REDIRECTED ein durchweg unterhaltsamer Zeitvertreib; gefüllt mit fieser Situationskomik, ikonischen Charakteren sowie einer Handvoll wirklich gelungener Running Gags (ich sage nur „Heizung“!). 6,5 Punkte sind darum allemal drin. Bis zu Guy Ritchie ist es allerdings noch ein weiter Weg aus der baltischen Einöde.
D.S.
sah diesen Film im Cinestar, Frankfurt

05.09.2014, 02:30



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