Strangerland

Gefangen in der leeren Weite

von D.S.
Nein, kein Mysteryfilm. Abgesehen von einer kurzen surrealen (und sehr beeindruckenden) Sequenz, die inmitten eines Sandsturms spielt, und den genuschelten Andeutungen einer Aborigine-Oma über dunkle Magie gibt es in STRANGERLAND nichts Übersinnliches – jedenfalls nicht auf der Handlungsebene. Tatsächlich absolut verzaubern können aber die immer wieder eingestreuten Landschaftsaufnahmen, die Australien von seiner atemberaubendsten Seite zeigen: endlose, wie Ozeane wirkende Wüstenflächen, zerklüftete Felsenlabyrinthe, weite Steppen im Sonnenuntergang... man hätte eigentlich erwarten können, im Abspann das Logo der australischen Tourismusbehörde zu sehen zu bekommen. Stattdessen war es überraschenderweise das der irischen Filmförderung.

Wie auch immer, für den Genrefan sind die Oberflächenreize dünn gesät, wenn man mal von der enormen Freizügigkeit Nicole Kidmans absieht: STRANGERLAND ist letztlich ein reines Familiendrama ohne nennenswerte Thrilleraspekte oder auch Gewaltexplosionen.

Aber die Oberfläche ist ja nun mal nicht alles. Und darunter liegt hier ein finster brodelnder Abgrund aus unterdrückter Aggression, Selbsthass und enttäuschten Hoffnungen. Ein Abgrund, in den ein Protagonist nach dem anderen hineingezogen wird, und nicht alle tauchen wieder aus ihm auf.

Im Mittelpunkt der Handlung scheint dabei zwar die Suche eines Ehepaares (Joseph Fiennes und Nicole Kidman) nach ihren beiden Kindern zu stehen, die eines Nachts aus dem Haus der Familie irgendwo im Outback verschwunden sind. Man vermutet sie in der Wüste, wo sie nur ein paar Tage werden überleben können. Entsprechend groß ist die Verzweiflung der Eltern. Der Fokus der Erzählung liegt dann aber nicht etwa auf den Bemühungen, sie wiederzufinden, die vom lokalen Polizeichef (Hugo Weaving) organisiert werden. Vielmehr rücken Schritt für Schritt die Hintergründe in den Vordergrund: das, was in der Vergangenheit der Familie geschehen ist; was sie zu dem lieb- und leblosen Haufen gemacht hat, der sie heute ist; was zu der kalten Distanz der Protagonisten zu sich selbst und den anderen Familienmitgliedern geführt hat, die nur noch schwer erträglich ist. Dabei gibt es eine Menge schmerzhafte Entdeckungen zu machen, als sich die Eltern im Angesicht der Krise endlich mit sich selbst und ihren verdrängten Emotionen auseinandersetzen. Und über ihr zurückgelassenes Tagebuch ihre Tochter Lily schließlich erst wirklich kennenlernen.

STRANGERLAND ist eine dunkle Reise in vergiftete Seelen, die eine hypnotische Sogwirkung entfaltet – wenn man bereit ist, sich auf sie einzulassen. Dabei bietet er keine einfachen Erklärungen an, weder für das Verschwinden der Kinder noch für das sich immer nachdrücklicher offenbarende emotionale Desaster, in dem sich die Protagonisten befinden. Allzu offensichtlich dargebotene Antworten sind hier genau das: allzu offensichtlich, vorgeschoben. Es steckt mehr hinter der Situation, Vielschichtigeres; schwer Greifbares, vielleicht nur persönlich zu Entschlüsselndes.

Bemerkenswert ist dabei der Kontrast zwischen der uns immer wieder vorgeführten Weite der Landschaft – und der Enge einer kaputten Familie. Der Kontrast zwischen dem Wunsch nach Freiheit, Lebendigkeit, einem Leben, das sich nach Leben anfühlt – und dem Gefangensein in Lieblosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Bedeutungslosigkeit.

Schwere Kost, grandios gefilmt und gespielt, aus meiner Sicht absolut beeindruckend. Aber hier gehen die Meinungen weit auseinander. Für mich gute 7 Punkte.
D.S.
sah diesen Film im Cinestar, Frankfurt

17.08.2015, 02:55



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