"Life is surreal. Don’t let it consume you."von D.S. | |
Über weite Strecken ist TAG zunächst mal so etwas wie ein feuchter Otaku-Traum: japanische Schulmädchen in knappen Uniformen, deren Röcke regelmäßig vom Wind emporgeweht werden oder der Kamera andere Anlässe bieten, auf die Schlüpfer darunter zu fokussieren – und über drei Viertel der Laufzeit des Films keine einzige männliche Figur in Sicht, die davon störend ablenken könnte. Wohl aber verschiedene übernatürliche und offenbar übernatürlich motivierte menschliche Kräfte, die wenig Interesse am Aufkommen erotischer Stimmung haben – und TAG dadurch mit voller Wucht zu einem zum FFF passenden Erlebnis machen: Sie metzeln die Jungmädchen nämlich mehrfach ohne jede Gnade nieder und bescheren uns mitunter die heftigsten Blutbäder, die man überhaupt jemals auf einer Leinwand zu sehen bekommen hat. Speziell die Eröffnungssequenz lässt einen in ihrer Metamorphose von Kitsch-Ästhetik zu Splatter-Exzess nahezu sprachlos zurück. Ohnehin ist dieses jüngste Werk von Großmeister Sion Sono geprägt von extremen Kontrasten; vom plötzlichen Wandel scheinbar alltäglicher Handlungssequenzen mit ruhig-harmonischer Grundstimmung zu alptraumhaften Szenarien voller hemmungsloser Gewaltexplosionen, aber auch vom kontinuierlichen Wandel der Hauptfigur – die als Schülerin Mitsuko in den Film startet, aber mehrfach unfreiwillig Namen und Aussehen wechselt, ihre Erinnerungen an das zuvor Erlebte dabei jedoch behält. Und vom Geschehen mindestens genauso verwirrt wird wie der Zuschauer. Am Ende von TAG wird uns zwar eine Art Erklärung für das Gesehene angeboten, diese bleibt aber hochgradig kryptisch und offen für jede Art von Interpretation. Als klassische Story kann die Handlung eigentlich beim besten Willen nicht gelesen werden; vielmehr erscheint sie mit ihren schier willkürlichen Sprüngen, ihren zahlreichen mehrdeutigen Ebenen und ihrem Symbolismus wie die nahezu perfekte filmische Umsetzung einer Traum-Narration – einzig Quentin Dupieux’ REALITY geht hier noch einen Schritt weiter, fühlt sich in seiner Escher-artig absurden Verschlungenheit noch ein Stück "traumhafter" an. Damit ist auch klar, dass TAG jenseits seiner Blutfontänen bei weitem nicht jedem Genrefan gefallen dürfte. Wer nach einer stringenten Erzählung dürstet, wer nach Sinn oder zumindest nach klaren Antworten auf aufgeworfene Fragen sucht, wird sich hier bald genervt abwenden, denn Sono verfolgt konsequent nichts anderes als seine persönliche künstlerische Vision. Wer aber grandiose, grandios abseitige Absurditäten, wilde Stimmungswechsel und unvorhersehbare Wahnsinnsexzesse schätzt, das Farbenfrohe gerne blutig und das Blutige gerne hintergründig seltsam hat – der wird in Mitsukos Alptraumreise seine Erfüllung und vielleicht sogar seinen Filmgral des Jahres 2015 finden. Aus meiner Sicht ein unverzichtbares Erlebnis und eines der absoluten Highlights der FWN 2015, dicke 8 Punkte. | |
![]() sah diesen Film im Cinestar, Frankfurt | 09.12.2015, 14:47 |
Weitere Informationen (externe Links): | |||||||||||||||||||||
|