Anarchie trifft Dystopie trifft Retrovon Leimbacher-Mario | |
Eine Zukunftsvision aus Sicht der 70er – wenn man nicht gerade "Welt am Draht" oder "Logan’s Run" guckt, bekommt man das heutzutage eigentlich nicht mehr zu sehen. Ben Wheatleys neues & bisher mit Abstand größtes Projekt, "High-Rise", ist eine erfrischende Brise in der heutigen, sich oft ähnelnden Sci-Fi-Landschaft. Adaptiert von einem angesehenen Buchklassiker, der lange als unverfilmbar galt & den ich leider nicht gelesen habe, gelingt hier optisch eine fabelhafte Traumwelt von einer verkommenen Klassengesellschaft, die sich in einem futuristischen Hochhaus aneinander aufreibt. Retro-Optik, dystopische Zukunft – ein besonderer Kick & zeitweise eine rauschhafte Erfahrung mit überlebensgroßen Bildern. Psychedelischer Soundtrack, chaotische bis wunderschöne Optik, treibende Naturgewalten von Schauspielern, eine unterschwellige Message, Atmo & Bedrohung – alles ist einwandfrei & bezaubernd hübsch. Allein erzählerisch hätte ich mir etwas mehr Fokus, Straffung & Konsequenz/Konzentration gewünscht. Man kann nicht alles haben & gewollt ist das Chaos sicher genau so – für mich persönlich geht dadurch aber leider ein Meisterwerk flöten, vor dem auch Kubrick sicher den Hut gezogen hätte. Irgendwo zwischen "Clockwork Orange" & "Eyes Wide Shut". Warum muss mich das Ergebnis trotzdem so ärgern? Es muss nicht jedem so gehen, das wünsche ich keinem. Mein müdes & leeres Gefühl nach diesem britischen Fiebertraum, vollgestopft mit Ideen & Genialitäten, kann ich jedoch leider einfach nicht leugnen :( Die einzelnen Komponenten, von genialen Darstellern bis zur technischen Perfektion, in einer flotten Aufzählung abzuhandeln & zu loben, wie ich es oft gerne tue, wird diesem Schmelztiegel von Film nicht gerecht. Den Soundtrack würde ich mir sofort zulegen & im Auto hören, von ABBA bis Portishead. Hiddleston als glitschiger Dr. Laing spielt das verführt werden von einer Gesellschaft ohne Grenzen grandios, aber selbst er muss sich hinter noch einschlägigeren Darstellungen wie der von Luke Evans geschlagen geben. Eine Naturgewalt von Mann. Und was wäre all dieser inhaltliche & visuelle Prunk ohne einen Maestro, der das alles zusammenhält? Genau, nichts. Also: Danke Herr Wheatley, auch wenn mir noch der endgültige Zugang fehlt. Da sieht man mal wieder, dass auch eine 6 oder 7 von 10 eine absolute Sehempfehlung sein kann. Gibt genug zu entdecken, zu interpretieren & zu rätseln – man muss nur wollen. In solchen Momenten wie der Renaissance-Party sprüht das schwarzhumorige Script geniale Funken & mir hätten mehr solcher zusammenhängenden Szenen extrem gut gefallen & einen besseren Überblick verschafft. Fazit: in Kombi mit dem (anscheinend noch besseren) Buch sicher sehr gut. Aber auch ohne Vorwissen ein anarchistischer Rausch, der sich redundant & länger anfühlen kann, als er eigentlich ist. Eine absolut faulende Gesellschaft, die wohl nicht mehr zu retten ist... Sind das wir? Die Bilder & die Vision hängen einem noch lange nach, wie ein intransparenter Traum oder eine vergessene Partynacht – am Ende vielleicht doch Kubrick? Wir werden sehen, es braucht Zeit & mehrere Sichtungen. Wird polarisieren. Gut so. | |
Leimbacher-Mario sah diesen Film im Residenz, Köln | 13.04.2016, 07:37 |
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