Hardcore

Reizüberflutung

von Frank
Aus Ego-Shooter-PC-Spielen ist die extreme POV-Darstellung schon lange geläufig. Filme haben sich dieser Stilistik bislang szenisch-sequenziell bedient, Found-Footage-Filme ohnehin. Oder ist vielleicht John Carpenters Halloween der eigentliche Vorreiter für HARDCORE HENRY? (Stelle mir gerade Michael Myers vor, wie er vor Henry steht: "Ich bin Dein Vater").

Das Stilmittel selbst ist so gesehen nichts Neues, jedoch das Wie, und die Konsequenz, mit dem dieses umgesetzt wird. HARDCORE setzt über den gesamten Verlauf auf die POV-Perspektive und fühlt sich dadurch tatsächlich größtenteils wie ein rasantes Computerspiel an. Des öfteren fühlte ich mich an Crank erinnert und meine Begleitung fasste den Film mit den Worten zusammen: Crank meets GTA. (Wozu ich nichts sagen kann, da ich kein "Gamer" bin.)

Die gezeigte Gewalt ist beachtlich (angefangen mit der ästhetischen Überstilisierung von Gewalt im Intro) und gerade durch die Kombination von Schauwerten und Ego-Perspektive ziemlich intensiv; die geplante ungekürzte FSK-18-Freigabe ist erstaunlich. Es wird abgestochen, geschlitzt, gesäbelt und ausgeweidet, vor allem jedoch mit zahlreichen Kalibern und den unterschiedlichsten Waffenmodellen geschossen. Die Anzahl an Explosionen: hoch.

HARDCORE gehört zu der Sorte Filmen, die extrem schlauchen und Energie ziehen. Dass die rasante Ego-Shooter-Flucht nur sehr selten Kompensation oder einen perspektivischen Ruhepol findet, schadet Film wie Zuschauer und sorgte (nicht nur bei mir) dafür, dass er sich länger anfühlte als die 90 Minuten. Ein im Grunde spannungsloser, sinnfreier Reiz-Overkill, welcher mir durch die konsequente Ego-Perspektive in Verbindung mit Tempo und Gewalt Kopfschmerzen und Schwindel bereitete. Es ist wahrscheinlich, dass ich um Ego-Shooter-Filme in Zukunft einen ähnlichen Bogen mache wie um Handkamera-Wackelfilme.
Klar konnte man erwarten, dass hier hauptsächlich das Stilmittel, die Idee vorgeführt wird, Perspektiven aufgezeigt werden, was man alles machen kann. So muss es auch keine ausgefeilte Story sein. Ein Plus jedoch wäre eine klarer umrissene, komplexere Rahmenhandlung gewesen, die HARDCORE HENRY leider nicht bietet. Es finden sich einige philosophische Einsprengsel im Monolog von Charlto Copley. Da wäre noch mehr Inhalt, eine größere Reflexion drin gewesen.
Als Regiedebüt geht das aber andererseits schon in Ordnung und Regisseur Ilya Naishuller tat (aus produktionstechnischer Sicht) evtl. auch gut daran, seinen Fokus auf das stilistische Novum, die Stunt- und Kameraarbeit zu richten, um sich nicht zu verzetteln. Und gute Stunts gibt es durchaus zu sehen.

Entschädigt für mangelnde erzählerische Substanz werden wir durch eine überraschend große Portion gut eingebundenen Humors, der sich erfreulicherweise nicht nur aus besonders skurrilen Todesszenen ergibt. Daumen hoch dafür. So ist HARDCORE nicht bloß anstrengend, er kann auch Spaß machen. Positives lässt sich auch über die gute Musikauswahl sagen, die zum Teil konterkarierend die Szenen bereichert.

Ist HARDCORE HENRY nun die Geburt eines neuen Genres bzw. Subgenres, des Ego-Shooter-Films, des POV-Subgenres oder wie auch immer?
Der auf diesen Nights laufende Pandemic setzt auf das gleiche Stilmittel, wie konsequent wird sich zeigen. Henry kämpft also nicht allein. Schon seit einigen Jahren erhalten Schauspieler "Rollen" in Computerspielen. Eine Überlappung des Film- mit dem Spiele-Genres existiert bereits, bislang jedoch eher umgekehrt, also Film und Schauspieler beeinflussten den PC-Spiele-Sektor.
Für HARDCORE wurde eine speziell entwickelte Helmkamera verwendet. Gut vorstellbar, das sich Filmemacher technisch inspirieren lassen und sich daraus in der Folge weitere Perspektiven für die Gestaltung von Actionszenen, Strukturen und Entwicklungen von Storys ergeben. Das Stilmittel ist definitiv noch ausbaufähig.

Ein sich schnell ausbreitendes eigenes Genre sehe ich auf Grund meiner Resonanz auf den Film nicht, viel eher eine Modeerscheinung, von der sich möglicherweise ein paar Filmemacher inspirieren lassen werden und einige technische Kniffe abschauen.

HARDCORE HENRY hatte seine Highlights, aber als ganzen Film kann ich ihn nicht wirklich als gut bezeichnen. Das gilt im Grunde für jeden Film, der so viel Energie beansprucht, dass er den Zuschauer dermaßen ausgelaugt zurücklässt. Und mehr als ein unterhaltsamer Film, ist er in meinen Augen zugleich logisches Produkt wie symptomatischer Spiegel einer abgestumpften, den Genussmitteln zugeneigten Gesellschaft, die Aufmerksamkeitsdefizite und Konzentrationsstörungen schon im Schulalter "erfolgreich" mit gewissen Pharmazeutika "behandelt". Wobei er, das soll auch gesagt sein, ehrlich wirkt und ich ihm seinen humoristischen Charakter zugutehalte.
Frank

18.04.2016, 22:11



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