crazy

Raw

Luis Suarez’ Lieblingsfilm

von Leimbacher-Mario
"Raw" hat seinen Hype verdient. Weil es sich einfach um einen starken Genremix handelt. Die Welle & Schlagzeilen auf Grund brechender und fürs Leben geschockter Zuschauer bei frühen Vorführungen sollte man dagegen eher ins Land der Marketingmythen packen. Oder auf die Pussy-Zuschauer aus Toronto, Sitges, Cannes oder sonstwo schieben ;). Sicher kann der Film auf ungeübte Gucker und Mägen Unwohlsein ausüben, doch einen neuen Schocker fürs Jahrzehntbuch sollte keiner erwarten. Gourmethorror mit Sinn, Verstand und Anspruch schon eher. Hier wird vom Zuschauer etwas gefordert, um es dann doppelt zurückzuzahlen. Schon fast die hohe Kunst des Horrors. Nicht wirklich spannend oder den Puls treibend, und doch ungemein faszinierend und nährreich. Egal, ob als Veggie oder Barbecue-Fan. Es geht um ein junges Mädchen, das neu auf eine elitäre Schule für Veterinärmedizin kommt. Dort muss die Vegetarierin blutige Willkommensrituale überstehen, wird langsam erwachsen und nebenbei entdeckt sie die Lust am Fleisch, in jeglicher Hinsicht... Es geht um Themen wie Frauwerden, Gesellschaftsdruck, Erblast, Geschwisterliebe und die ursprüngliche Macht unserer tiefsten Gelüste. Schwerer Stoff - geschickt und packend inszeniert. Zudem extrem stilvoll und sogar in Teilen überraschend witzig. Was für ein proteinreicher Cocktail!

"Raw" ist passenderweise rohes Genrekino, das sich jeder braten kann, wie er es am liebsten hat. Gorehunde sollten, wie gesagt, nur nicht den nächsten "Inside" erwarten. Arthouse oder platte Provokation sehen jedoch ebenfalls anders aus. Mich hat "Raw" mitgenommen und vielerlei Hinsicht beeindruckt, ja sogar etwas geplättet. Von eklig bis surreal, metaphorisch schwer aufgeladen und ein Coming-of-Age-Bluterguss, wie man ihn so noch nie gesehen hat. Die Darstellerinnen geben ihr letztes Hemd und ein derart krasses, mutiges und komplexes Jugenddrama aufs Extrem gedreht wäre hierzulande noch immer leider einfach nicht denkbar. Das machen unsere westlichen Nachbarn einfach viel mutiger und radikaler, während wir hier, böse und überhöht gesagt, bei "Bibi & Tina" bleiben. Das hier ist Next-Level-Jugendkino. Roh, rau, unangenehm, ungeschönt, vielschichtig. Ein Mix aus "A Tale of Two Sisters" und "Feuchtgebiete".

Fazit: ein spezieller Gourmethappen... Hardcore Coming-of-Age. Cannibal College. Tierärzte des Grauens. Vom Verlangen überfraut. "Raw" ist kein Gorefest, geht jedoch trotzdem an den Magen und vielleicht sogar ins Herz. Metaphorisch besonders wertvoll. Anspruchsvoller Horror, zudem mit stylischen Bildern, Tabubrüchen und mutig gespielt. Ein Genrehighlight, das polarisiert. Wie es gute Kunst immer tun sollte.
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

23.09.2017, 03:50



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