Im Auge des Todesvon D.S. | |
Vincent Borel ist ein Grafiker, der kein besonders aufregendes Leben führt – bis es zu „der Situation“ kommt. Die besteht darin, dass ein Praktikant in seiner Agentur aus heiterem Himmel versucht, ihn tot zu prügeln. Niemand weiß, warum; Vincent selbst versucht stoisch, das Geschehene zu ignorieren. Das fällt ihm allerdings schwerer, als kurz darauf ein langjähriger Kollege wie von Sinnen mit einem Kugelschreiber auf seinen Arm einsticht. Auch dieser selbst kann sich nicht erklären, was ihn dazu getrieben hat – um das „Arbeitsklima“ im Büro zu retten, wird unser Protagonist jedoch sicherheitshalber erst mal ins Homeoffice versetzt. Was ihm wenig hilft, denn es stellt sich heraus, dass hinter jedem x-beliebigen Menschen auf der Straße ein potentieller Killer steckt: Sobald Vincent anderen in die Augen blickt, wird in vielen von ihnen eine schier unstillbare Mordlust geweckt… Das Set-up von VINCENT MUST DIE ist zunächst einmal grenzgenial. Weder unsere Hauptfigur noch das Publikum verstehen, was hier eigentlich gerade passiert – und schon gar nicht, warum. Das erste Drittel des Films gerät dadurch zu einem Paradebeispiel für zwar finsteren, aber gleichzeitig auch frenetischen absurden Humor, der ein paar großartige WTF-Momente hervorbringt. Im weiteren Verlauf kippt die Stimmung jedoch bald ziemlich stark: Vincent flieht vor dem Kontakt mit anderen Menschen, sein Leben gerät immer ernsthafter in Gefahr, aus der überdrehten schwarzen Komödie wird ein paranoiaartiger Thriller. Dabei greift Regisseur Stéphan Castang auf zahlreiche Motive aus Zombiefilmen zurück – und es wird überraschend deutlich, wie sehr diese wiederum letztlich nur eine Überspitzung des „normalen“ feindlichen, gewalttätigen Verhaltens von Menschen untereinander darstellen. Es ist schwer zu übersehen, dass der Film eine Botschaft hat und dass diese ziemlich deutlich Bezug auf den hasserfüllten Zustand nimmt, von dem unsere Welt Tag für Tag stärker geprägt ist. Das mindert seinen Unterhaltungswert jedoch nicht im Geringsten, denn die in sich kohärente Story steht hier klar im Vordergrund, unterfüttert und in ihrem Anschauungswert bereichert durch einige äußerst brutale Szenen. Kritisieren lässt sich vielleicht, dass die Regeln des Spiels nicht unbedingt eindeutig erklärt werden – dass es nicht immer stimmig scheint, wann, warum und von wem Vincent attackiert wird und wann nicht. Andererseits sind diese Regeln auch keiner Figur im Film bewusst, es gibt kein „Drehbuch“, nach dem sich Vincent richten könnte. Persönlich hatte ich eigentlich eine mehr oder weniger durchgängige Komödie, weder die wachsende Ernsthaftigkeit noch die inhaltliche Schwere erwartet, mit denen wir hier konfrontiert werden. Für mich steigern diese die Wirkung des Films aber schlussendlich noch – auch, wenn es in gewisser Hinsicht schade ist, dass man irgendwann nicht mehr so viel zu lachen hat (und vielleicht auch, dass ab einem bestimmten Punkt das Thema Liebe eine arg große Rolle spielt). Die Idee hinter der Handlung ist extrem originell, die Inszenierung spannend, die Hauptfiguren sind gut gespielt – und die Auflösung ist konsequent: Trotz zwischenzeitlichen Quasi-Leerlaufs einer der stärkeren „Fresh Blood“-Beiträge dieses Jahres. Sollte sowohl Genrefans als auch eher arthousigerem Publikum gefallen. 7 Punkte. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 11.09.2023, 03:57 |
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