The Animal Kingdom

Expeditionen ins Menschenreich

von D.S.
Was definiert uns als Mensch? Was sorgt tatsächlich dafür, dass wir von anderen akzeptiert und respektiert werden? Unsere äußere Form? Oder das, was in uns steckt?

Auf den ersten Blick ist THE ANIMAL KINGDOM nur ein weiterer Vertreter der langen Reihe von Filmen, die sich dem oft schmerzhaften Prozess des Findens einer eigenen Identität und eines eigenen Platzes in der Gesellschaft widmen, den die Pubertät darstellt – und unberechenbare, verstörende, oft gar monsterhafte Veränderungen des Teenager-Körpers als Metapher für ihn nutzen. Das Werk von Thomas Cailley macht aber schnell deutlich, dass es hier um weit mehr geht als das. Nämlich um Fragen wie die oben genannten.

Dies zeigt sich grundsätzlich schon darin, dass die merkwürdigen Mutationen, die Menschen Stück für Stück in eigenartige Tierwesen verwandeln, bei ihm keineswegs nur Jugendliche betreffen. Im Gegenteil bekommen wir zunächst vorwiegend Erwachsene präsentiert, die der mysteriösen Krankheit anheimfallen. Daneben ist es aber vor allem auch der Fakt, dass THE ANIMAL KINGDOM sich ausführlich mit der Gefühls- und Lebenswelt der Mutierten beschäftigt, sie mit derjenigen der „normalen“ Menschen kontrastiert und deutlich macht, dass es eigentlich ausschließlich Letztere sind, die ein Problem mit dem neuen Status Quo haben, der dafür sorgt, dass sein wesentlich umfassenderer Ansatz bzw. Anspruch in den Vordergrund rückt. Im eigentlichen Sinne „unmenschlich“, empathielos und hasserfüllt treten hier jedenfalls ausschließlich die vorgeblichen Menschen auf (wenn auch bei Weitem nicht alle!), was eine ziemlich klare Sprache spricht.

Dass der Film trotz dieser inhaltlichen Schwere und seiner klaren humanistischen Positionierung keine Sekunde lang so wirkt, als würde er den ominösen Zeigefinger schwenken, hat er einerseits seiner luftig leichten, an vielen Stellen nicht nur visuell begeisternden, sondern insbesondere auch überraschend humorvollen Inszenierung zu verdanken – andererseits seinen Darstellern, die eine überragende Leistung abliefern. Gerade, aber nicht nur, der zentrale Protagonist Émile und sein Vater François (Romain Duris aus COUPEZ! bzw. FINAL CUT OF THE DEAD) fühlen sich unglaublich lebensecht an, ihre Figuren und auch das gesamte Szenario als solches könnte man sich jederzeit in der freien Wildbahn vorstellen. Die Masken- bzw. Make-up-Effekte wirken dabei zugegebenermaßen nicht in allen Fällen vollends überzeugend, in einigen dagegen umso mehr.

Zwar erzählt THE ANIMAL KINGDOM eine dramatische, zuweilen tragische Geschichte, die einige sehr bittere Momente enthält und unter Umständen sogar für Tränen sorgen kann. Insgesamt strahlt die Umsetzung jedoch einen derartigen Optimismus und Humanismus, ein solches Maß an Freiheitsdrang und Lebensfreude aus, dass sie den Zuschauer mit einem großen, erfüllten Lächeln entlässt. Wunderschön gefilmt, fantastisch gespielt, im Detail weder vorhersehbar noch klischeehaft: Eine echte kleine Offenbarung des Fantasy-Kinos. 7,5 Punkte.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

17.09.2023, 01:20



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