crazy

Raging Grace

Amazing Grace

von D.S.
Es ist noch kein Jordan Peele vom Himmel gefallen: Zwar gelingt es Regisseur Paris Zarcilla, mit seinem Spielfilmdebüt einen durchweg unterhaltsamen Haunted-House-Thriller auf die Leinwand zu bringen. Seine Horror-Devices wirken in 2023 jedoch ein Stück weit zu vertraut, um noch besonders effektiv zu sein, sprich: ernsthaft gruselig wird es in RAGING GRACE in keinem Moment. Insbesondere aber kommt seine Sozialkritik, sein sicherlich berechtigt verbittertes Anprangern des (auch) im UK weit verbreiteten anti-asiatischen Rassismus deutlich zu plump und demonstrativ daher, um sich mit der Finesse seines offenkundigen Vorbilds zu messen – oder seiner Erzählung die Doppelbödigkeit zu verleihen, nach der er vermutlich gestrebt hatte.

Das Highlight des Geschehens ist dabei zweifellos die umwerfende kleine Grace, die zwar leider nicht ganz so wild durch den Film wütet, wie es der Titel verspricht, aber doch für einige Aufmerksamkeit sorgt. Und dank ihres zwischen Niedlichkeit und ausgeprägtem Hang zu kindlich-teuflischem Schabernack oszillierenden Charmes die Sympathien des Publikums schnell auf ihrer Seite hat. Letzterer Teil ihres Charakters kommt dabei leider zunächst nur zu Beginn des Films wirklich zum Tragen, da sorgt er allerdings für ein erfrischendes, nötiges Gegengewicht zur Schilderung der tristen Lage, in der sie und ihre Mutter Joy sich befinden. Als Einwanderer von den Philippinen mit nur eingeschränktem Aufenthaltsrecht versehen, nimmt Joy jeden Job an, den sie nur bekommen kann, um das nötige Geld für den Erhalt der britischen Staatsbürgerschaft auf dem Schwarzmarkt zusammenzukriegen. Die Zeit wird knapp, ihr Passport-Dealer ist nicht mehr lange in der Stadt – also erklärt sie sich widerwillig bereit, das Putzen im alten Herrenhaus der Garret-Dynastie zu übernehmen. Obwohl sie sich dort von der ersten Sekunde an unwohl fühlt, nicht zuletzt, da der langsam an Krebs sterbende Mr. Garret in einem Koma-ähnlichen Zustand in seinem Zimmer vor sich hinvegetiert. Seine Nichte Katherine lässt Joy jedoch, überrumpelnd, kaum eine Wahl – und fortan erkunden wir gemeinsam mit ihr und Grace das graue Gemäuer, in dem schockierende Entdeckungen auf die beiden warten …

Die Kamera fängt das verstaubt luxuriöse Ambiente hervorragend ein und erweckt dabei den Herrschaftsanspruch des alten Imperiums fast so unterkühlt bösartig zum Leben, wie es den zu Beginn jedes Kapitels eingeblendeten Zitaten von Rudyard Kipling sowie den Dialogen von Katherine und, später, Onkel Garret gelingt. Diese behandeln Joy so vordergründig freundlich wie durchdringend spürbar herablassend als minderwertigen „Gast“ und wecken in dieser Doppelzüngigkeit klare Erinnerungen an GET OUT – wenngleich dessen zunächst versteckte und gerade dadurch so verstörende zweite Ebene hier nicht erst aufgedeckt werden muss: RAGING GRACE konzentriert sich in seiner ersten Hälfte vielmehr überdeutlich darauf, das kolonialistisch geprägte Denken weiter Teile vor allem der britischen Oberschicht zu demaskieren und dem Publikum als den vielleicht größten alltäglichen Horror für jene zu präsentieren, die von den Umständen als „Bürger zweiter Klasse“ definiert werden.

Das macht Zarcillas Werk zu einem so aufrüttelnden wie zornig machenden, leider aber versäumt es der Regisseur in seiner Offensichtlichkeit dabei, uns die Möglichkeit zu geben, selbst zu erschütternden Schlüssen zu kommen. Das gilt auch für die zweite Hälfte des Films, in der die Handlung schließlich verstärkt ins Übernatürliche umkippt. Was uns hier erwartet, ist zwar nicht völlig ohne Reiz, jedoch vielfach bereits oft gesehen und dadurch eben auch sehr vorhersehbar. Immerhin entdeckt Grace den „raging“-Aspekt ihres Charakters wieder und sorgt auch dadurch für ein Finale, das sehr befriedigend gerät.

Insgesamt ist RAGING GRACE eine in weiten Teilen filmisch sehr gelungene, von eindrücklicher Wut und Sarkasmus geprägte Abrechnung mit der britischen Klassengesellschaft und schwach übertünchtem Rassismus geworden, die als Horrorfilm jedoch nur bedingt überzeugen kann – und mit mehr Subtilität vermutlich noch wesentlich effektiver hätte werden können. Anschauen lohnt trotzdem, nicht zuletzt wegen der Figur der Grace und dem visuellen „Auge“ des Regisseurs. 6 Punkte von mir.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

18.09.2023, 19:33



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