crazy

Vermin

Eine echte Krabbeldecke

von Leimbacher-Mario
Spinnenhorror ist schon lange kein florierendes Subgenre mehr. Leider. Wohl zu plump und simpel in Zeiten des post horror. Aber „Vermine“ aus Frankreich zitiert die besten dieses Fachs und reichert den krabbelnden Tarantelterror mit Ghettobusiness à la „La Haine“ an. Was so momentan auch nur aus Frankreich kommen kann. Und diese Fusion der struggelnden Unterschicht im Kampf gegen vielbeiniges Ungeziefer funktioniert famos. Eventuell sind wir hier sogar Geburtszeugen eines modernen Spinnenklassikers - der jedoch noch deutlich mehr zu bieten hat als nur behaarte Beine im Höchsttempo und schwarze, tote Augen. Erzählt wird in einer temporeichen und stylischen Mischung aus „Arachnophobia“ und „Attack the Block“ von einem jungen Mann, der ca. am Ende seines ersten Lebensdrittels einige Probleme in seinem unterprivilegierten Leben im Banlieu zu meistern hat. Doch Freundeskrisen und gescheiterte Berufshoffnungen verblassen, als ihm eine exotische Spinne entläuft und es seine eh schon gereizte Nachbarschaft mit einer kräftigen (und exponentiell wachsenden!) Welle von Itzi-Bitzi-Killerspinnen zu tun bekommt…

Ich glaube ich Spinne!

„Vermine“ erinnert wie gesagt an ein paar Klassiker seines Krabbelgenres, macht jedoch genug neu und variiert, um frisch und ausgewogen zu wirken. Vor allem die Balance aus Ekel und Fun ist hier schon edel. Als Abschlussfilm auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest eine ideale Wahl. Selten ging in diesem Jahrgang das genreerfahrene Publikum mehr mit einem Film mit. Schrecken, Schreie, Jubel, Stöhnen, Gänsehaut und „Pfui!“ lagen hier alle auf einem gut gemischten Haufen. Wer (französischen) Rap mag, kommt auch beim härteren Soundtrack voll auf seine Kosten. Der grieselige Look und die sehr dynamisch-panische Kamera fangen das ausartende Geschehen passend ein. Die Darsteller und ihre Figuren wirken sehr authentisch, sprechen total natürlich und ihrer „Schicht“ entsprechend - ohne zu asozial, unsympathisch, aggressiv oder aufgesetzt zu wirken. Oft verhalten sich die Figuren sogar überraschend clever und entgegen Klischees. Und die Spinnen wirken wunderbar echt - ein top Mix aus computergenerierten, echten und gebauten Krabblern. Oft erinnern sie eher an Facehugger als an natürliche Mehrbeiner. Ein weiteres Kompliment. Nur wenn sie ab einem gewissen Punkt eine unrealistische Größe erreicht haben, nimmt die Spannung und das Jucken im Zuschauerraum meinem Gefühl nach etwas ab. Aber als Zwischeninfo sei gesagt, dass wir dort eine Fassung sehen konnten, die eventuell noch nicht ganz fertig war und manche Effekte in der post production noch Feinschliff bekommen. Und manchmal übertreibt's die Kamera etwas mit dem Gewackel und die Beleuchtung ist etwas düster. Das war es aber schon mit meinen minimalen Makeln. Der Rest ist A-Klasse in der Ungezieferkategorie. Und etwas augenzwinkernde Sozialkritik gibt’s allein dadurch, dass in Frankreich manchmal auch die Unterschicht „Vermines“ (= Ungeziefer) von der ignoranten Mittel- und Oberschicht beleidigend genannt wird.

Fazit: Spaßig und eklig zugleich. Humor, Milieustudie, Schocker, Tierhorror. „Vermine“ ist ein klasse Vertreter seiner Zunft und lässt die Spinnen in einer beachtlichen Anzahl und Größe los. Klaustrophobie und Arachnophobie auf engem Raum. Achtung: es gab Walkouts. Und zwar nicht, weil der Film so schlecht war. Sondern weil das für Leute mit Angst vor Spinnen eine nahezu unüberwindbare Herausforderung darstellt, hier sitzen zu bleiben.
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

28.09.2023, 01:38



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