Die Geschichte von zwei Wölfenvon Herr_Kees | |
Der alte Cherokee Großvater saß mit seinem Enkel am prasselnden Lagerfeuer. Still und erschöpft nach einem langen Tag beobachteten sie das Feuer. »Schau, Großvater, wie die Flammen tanzen. Sie stoßen in die Dunkelheit vor, als ob sie die Schwärze vertreiben wollten.« »Sie kämpfen miteinander, so wie unsere beiden Wölfe«, erwiderte der Großvater. »Welche Wölfe?«, fragte der Enkel neugierig. »Jeder von uns trägt zwei Wölfe in sich. Einen Weißen und einen Schwarzen. Der weiße Wolf lebt von Zuversicht, Liebe, Freude und Gerechtigkeit, von all unseren guten Eigenschaften.« »Und der Schwarze?« »Er lebt von unseren Ängsten, von unserer Wut, der Gier und Eifersucht. Der weiße Wolf ist wie die hellen Tage, der Schwarze wie die dunklen Tage im Leben. So wie die Flamme die Dunkelheit bekämpft, so ringen der weiße und der schwarze Wolf Tag für Tag miteinander.« Nachdenklich schaute der Enkel in die Flammen. Er überlegte eine Minute und fragte dann seinen Großvater: »Welcher Wolf wird gewinnen?« Der alte Häuptling erwiderte: »Der, den Du fütterst!« === Der junge Liam – 17 Jahre, kahl geschoren und mit dem Blick eines geprügelten Hundes – wird ins Jugendheim eingewiesen. Den Grund dafür werden wir erst später erfahren. Die anderen Jungen im Heim lassen ihn schnell die Hierarchie im Haus spüren, doch das wahre Grauen geht nicht von der neuen Gemeinschaft aus, zumindest noch nicht – es lebt in seinen Erinnerungen an sein Elternhaus und an seine Kindheit. Hier wurde er permanent misshandelt von den gewalttätigen und asozialen Eltern, die Crack rauchen, Sexorgien feiern und ihn windelweich schlagen. Es ist die Hölle. Im Gespräch mit der Sozialarbeiterin äußert er dennoch den Wunsch, dorthin zurückzukehren. Ob es dort besser sei als hier, fragt sie ihn. Das nicht, aber es sei doch zu Hause, oder? Koen Mortier zeichnet ein gnadenloses Bild einer völlig abgefuckten Kindheit, bei der es kaum möglich scheint, sich davon zu erholen. Liam hat niemals im Leben Liebe erfahren. Wie soll er wissen, wie man sie annimmt, geschweige denn, wie man sie gibt? Obwohl Liam von verständnisvollen Jugendarbeitern umgeben ist, handwerklich arbeitet und sich um die Pferde des Heims kümmert, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen, die Stimmung ist extrem angespannt, man weiß nie, wann Liam das nächste Mal austickt – oder womöglich die Eltern vor der Türe stehen. Mortier schildert das nicht ganz so artifiziell und sensationslüstern wie in seinem herausragenden EX-DRUMMER, aber nicht minder krass. Der Soundtrack der belgischen Post-Metal Band Amenra untermalt den Film kongenial mit düsteren Soundcollagen, insbesondere ihre Version von Tim Buckleys „Song to the Siren“ am Ende berührt – der Soundtrack ist u. a. auf Spotify hörbar. Schwere Kost, die einen besonders durch ihre psychische Gewalteinwirkung und die realistische Darstellung mitnimmt. | |
Herr_Kees sah diesen Film im EM, Stuttgart | 16.09.2024, 00:37 |
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