Speak No Evil

Zu gute Unterhaltung

von D.S.
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Bekanntermaßen war der dänische SPEAK NO EVIL das Centerpiece beim FFF 2022, und er war ein ausnehmend ungemütlicher, erbarmungslos kalt gestimmter, trister kleiner Film, der den Betrachter mit einem ganz miesen Gefühl in der Magengegend entließ. Insofern war unter dem langjährigen FFF-Publikum nicht nur einiges Gemurre zu vernehmen, als bekannt wurde, dass das US-Remake des Films gerade einmal zwei Jahre später als Eröffnungsfilm auserkoren wurde. Es herrschte ebenso mindestens Verwunderung darüber, dass ein so schwer zu verdauender, mit einigem inhaltlichen Gewicht versehener Film ausgerechnet unter der Ägide von Jason Blum und Blumhouse Pictures neuverfilmt wurde. Denn seien wir ehrlich: Deren Produktionen sind zwar im Bestfall angenehm unterhaltsam, richten sich aber zum allergrößten Teil eindeutig an ein eher wenig anspruchsvolles Massenpublikum, oft sogar explizit an Jugendliche. Wie sollte das zusammengehen?

Kurz gesagt: Nur, indem das Remake auf Aspekte des Originals verzichtet, die für dessen Wirkung essenziell sind. Damit ist nicht in erster Linie Vordergründiges gemeint, tatsächlich bemüht sich die Neuverfilmung – bis zum komplett veränderten Finale –, dem Handlungsverlauf der Vorlage treu zu bleiben. Was fehlt, ist in weiten Teilen zwischen den Zeilen zu finden. Zur Verdeutlichung, und da es hier um ein Remake geht, nutze ich am besten einfach den Einstieg meines Reviews zum Originalfilm noch mal:

„‚Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt’ – ein Spruch, den vermutlich jede:r kennt, genau wie die zahllosen Aphorismen rund um die Schuld der Gleichgültigen und Wegschauenden, die mehr zum Untergang der Menschlichkeit beitragen als die bewusst Bösen, die unmittelbaren Täter. Der dänische FFF-Beitrag SPEAK NO EVIL setzt derartige Mahnungen filmisch um und holt sie mittels einer konsequent schmerzhaften Erzählung, die direkt aus der gefühlten Lebenswirklichkeit stammt, auf eine Ebene, die noch das ignoranteste Publikum als auch für sich persönlich relevant realisieren können sollte.“

Im dänischen Film trieben die boshaften Gastgeber ihr Spiel mit den höflich braven Gästen langsam auf die Spitze, indem sie deren Angst vor Konflikten ausnutzten und uns damit deren Problematik demonstrierten. Ihre Gäste wehrten sich nicht – bis sie sich nicht mehr wehren konnten. Sie hielten den Mund, statt einen Streit zu verursachen. „Speak no Evil“. All das wird im Remake nicht ansatzweise so eindeutig ausgespielt. Weder zwingt das englische Gastgeberpärchen um einen sehr präsenten, mitunter aber leicht überagierenden James McAvoy seine amerikanischen Besucher so konsequent Anstandsgrenzen verletzend psychisch in die Ecke, noch nehmen jene die Ausfälle der Ersteren so scheu und alles akzeptierend hin. Schon der Titel des Films verliert damit dramatisch an Gewicht, ebenso geht die Aussage (siehe oben, ‚Wer sich nicht wehrt…‘) zu weiten Teilen flöten. Der hier vielleicht entscheidende Dialog des Originals wird im Remake zwar wörtlich (?) wiederholt: „Warum tut ihr uns das an? – Weil ihr uns lasst.“ – aber er kommuniziert nicht halb so viel Wahrheit.

Die Übergriffigkeit der Gastgeber ist hier nicht so ausgeprägt, oder jedenfalls nicht so ausgeprägt schmerzhaft wie im Original. Deshalb wirkt der ab einem gewissen Punkt mehrfach geäußerte Wunsch der amerikanischen Ehefrau Louise (Mackenzie Davis), schnellstens abzureisen, auch nicht so nachvollziehbar wie im dänischen Film. Tatsächlich ist man in diesem Kontext sogar fast geneigt, die Enttäuschung von Paddy (McAvoy) als genuin anzuerkennen, als die Gäste einen Fluchtversuch unternehmen.

Zu schlechter Letzt beschreitet das Ende des US-Films dann gänzlich andere Bahnen als das des Originals. Hier soll natürlich nicht gespoilert werden, deshalb nur so viel: Es nimmt dem Stoff noch einen weiteren Teil seiner Wucht und erlaubt es dem Publikum, ganz Hollywood-typisch, mit einem nicht ganz so schlimmen Gefühl nach Hause zu gehen.

Nicht falsch verstehen: Filmisch ist das Remake von SPEAK NO EVIL über jeden Zweifel erhaben. Und wer das Original nicht kennt, wird meine Kritikpunkte vermutlich kaum nachvollziehen können. Nein, für sich betrachtet, handelt es sich hierbei um einen fiesen, mitunter glatt schockierenden Film – erst recht, wenn man ihn mit sonstigen Blumhouse-Produktionen vergleicht. Er liefert zwar mitunter heftige, insgesamt aber einwandfrei goutierbare Genre-Unterhaltung. Und genau das ist das Problem.

Schade. Von James Watkins, dessen EDEN LAKE ja nun eben auch ein Ausbund an Harschheit ist, hätte man sich einen klügeren, intensiveren, angemesseneren Umgang mit dem Stoff erhoffen können. Von Blumhouse allerdings wohl eher nicht. 5,5 von 10 Punkten.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

19.09.2024, 03:08



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