Mehr Stil als Substanzvon D.S. | |
Was soll ich noch groß schreiben zum diesjährigen Konsensfilm, den eh schon jeder gesehen hat und lobt, zu dem es wahnsinnig eloquente Besprechungen noch und nöcher (auch von zahlreichen Major-Medien) gibt, zu dem hier außerdem unser eigener Herr_Kees bereits ein Review verfasst hat, in dem alles Entscheidende überaus adäquat geschildert wird? Sagen wir’s so: THE SUBSTANCE ist auf mehreren Ebenen ein Fest. Das gilt in erster Linie für Art-Direction und Set-Design, die hier bis ins Detail perfekt gestaltete, das private oder berufliche Umfeld, die Selbstverortung und/oder den Geisteszustand unser Protagonistinnen fulminant widerspiegelnde Spiel-Räume erschaffen, die man verzückt bewundern möchte. Das gilt auch für unsere vor wirklich nichts zurückschreckenden Hauptdarstellerinnen. Es gilt für die Masken- und Make-up-Artists und Special-Effects-Künstler, die den Film in ein grandios schmierig-schleimiges und blutiges Wunderland verwandeln. Das gilt ebenso für die Regisseurin Coralie Fargeat, die keine Hemmungen kennt, Ekel herauszukitzeln und für ihre Story in dessen maximale Untiefen einzutauchen – dabei aber fast immer die Fäden in der Hand behält und ein Ergebnis kreiert, das in seiner Intensität viele Münder offenstehen lassen dürfte. Das gilt aber – auch, wenn Cannes das anders sieht – vielleicht nicht so uneingeschränkt für die Drehbuchautorin Coralie Fargeat, die ihre Geschichte als ultimativ bissige Satire auf Körperkult, Altersdiskriminierung und Fixierung auf Äußerlichkeiten anlegt. Dabei jedoch jede Nuancierung und Mehrdimensionalität vermissen lässt, oder auch: stellenweise unglaublich platt daherkommt. Vielleicht ist eine derartige Holzhammer-Herangehensweise ja sogar zielführend, weil das Mainstream-Publikum die Wahrheiten und Gemeinheiten des Lebens einfach dringend einmal klar vor Augen geführt bekommen muss. Allerdings steht zu bezweifeln, dass sich nennenswerte Anteile eines solchen in diesen Film verirren werden – schmerzhafter Body Horror der Cronenberg-Schule steht für gewöhnlich eher nicht auf deren Sichtungsprogramm. Mir persönlich war die Charakterisierung von Figuren und Geschehnissen aber definitiv ein gutes Stück zu plump und oberflächlich. Ja, natürlich ist Oberflächlichkeit hier Programm: So heißt z.B. die Neujahrsshow unserer Klon-Protagonistin einfach „The New Years Eve Show“, so ist ihr Boss beim TV-Sender ein einziges Klischee-Abziehbild, so ist generell die Figurenzeichnung mit der Schärfe einer Diet-Coke-Werbung aus den 80ern versehen, so erfahren wir natürlich auch nichts über die Hintergründe der handelnden Figuren. Ja, ist Programm. Ist Kritik, wenn man so möchte. Kritik an der Oberflächlichkeit, mit der wir andere Personen betrachten, Kritik an der entsprechenden Epoche, in der sie allgemein akzeptierter Standard war. Mir fehlte da dennoch etwas Tiefgründigkeit. Etwas, womit ich mich weitergehend auseinandersetzen könnte und was mich vielleicht zu neuen Überlegungen inspirieren könnte. Aber vielleicht hatte ich da ganz einfach zu große Erwartungen. THE SUBSTANCE unterhält wahnsinnig gut, ist toll anzuschauen, hat einen herrlich hohen Ekelfaktor, zitiert im Finale direkt Brian Yuznas SOCIETY und hört dann auch gar nicht mehr auf damit, in schönsten Farben wild herumzuspritzen. Wer es etwas abseitiger, blutiger, perverser und ekliger mag, wird hier auf jeden Fall seinen Spaß haben. Mehr als das sollte er aber auch nicht unbedingt erwarten, schon gar keine wirklich relevanten Kommentare zum Zustand unserer Zivilisation bzw. unseres Zusammenlebens – aber das braucht es ja auch nicht zwingend, oder? 20 Minuten straffen hätte man das Ganze allerdings definitiv können. Und ich hätte es auch schön gefunden, wenn man wenigstens für einen Moment lang glauben könnte, der Klon sei tatsächlich ein Sprössling seiner „Mutter“, sie seien tatsächlich „Eins“. Was das Äußere betrifft, wäre das glatt noch vorstellbar. Aber abgesehen davon sind sie von Anfang an viel zu eindeutig als komplett unterschiedlich, ja sogar als Feinde positioniert. Viel von dem, was folgt, kann deshalb nicht so überraschen, wie es andernfalls möglich gewesen wäre. Egal, THE SUBSTANCE sollte man gesehen haben. Und als FFF-Besucher sollte man es auch absolut genießen können. Zur Zimmerdecke fehlt mir aber noch ein Stück. 7,5 von 10 Punkten. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 19.09.2024, 03:55 |
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