Dupieux in mehr als nur bösevon D.S. | |
Schon BLOODY ORANGES war für mich ein echtes Highlight – der neue Film von Jean-Christophe Meurisse steht dem in kaum etwas nach. Und das, obwohl er vordergründig harmloser daherkommt, die Gewaltexplosionen vermissen lässt, die das Vorgängerwerk nach einer „nur“ verbal spitzen ersten Hälfte so faszinierend schockierend machten. Nein, oberflächlich betrachtet, schraubt PLASTIC GUNS das Extremheitslevel deutlich herunter. Dabei erfahren wir doch in der Eröffnungssequenz, dass ein Film heutzutage zu mindestens 30 Prozent aus Blut, Gore und Ekelszenen bestehen muss, um bei Netflix & Co. erfolgreich zu sein! Zum Glück bekommen wir gleich hier schon ein wenig Entsprechendes geboten. Verfolgen wir doch die Autopsie einer Leiche durch zwei Ärzte, die sich dabei über Monsieur Zavatta unterhalten, den gottgleichesten Profiler aller Zeiten, der bestimmt auch Frankreichs Staatsfeind Nummer 1 ausfindig machen wird: Paul Bernadin, den abgetauchten Mörder seiner Frau und seiner drei Kinder. Szenenwechsel – und wir werden Zeuge, wie Zavatta genau das gelingt. Oder auch nicht. Wer weiß das schon? Wer kann sagen, was Realität ist und was nicht? In der Folge erleben wir mit, wie ein vermutlich Unschuldiger von Ermittlungsbehörden aller Art verdächtigt wird, Bernadin zu sein. Wie zwei gelangweilte Hausfrauen mit Facebook-Diplom vierter Stufe sich auf eigene Faust auf die Suche nach Details und Schuldigen machen. Und wie der vermutlich echte Bernadin sich kaum weniger um all die Aufregung rund um seine Person scheren könnte. Wie schon in BLOODY ORANGES kommt hier also eine szenische Inszenierung zum Einsatz, im Gegensatz zu jenem sind die einzelnen Handlungsstränge hier jedoch von Anfang an ganz offensichtlich durch ihr gemeinsames Thema miteinander verbunden. Noch mehr unterscheiden sich die beiden Filme dadurch voneinander, dass zumindest Freunde des absurden Humors, der freigiebig in die Groteske umkippenden Satire vom Start weg reichlich Gelegenheit bekommen, sich in herzhaftem Gelächter zu ergehen – was beim Screening in Frankfurt auch ausführlich geschah. Mehr „Spaß“ gab es beim diesjährigen FFF bisher noch nicht zu goutieren. Aber natürlich ist dies vergifteter Spaß. Spaß mit einer hinterrücks eingepflanzten, heimtückischen, umso schmerzhafteren Spitze. PLASTIC GUNS seziert die menschliche Hässlichkeit, die sich zuvorderst in Stolz, Eitelkeit und Verachtung ausdrückt. Und wie im Spiel dafür sorgt, dass wahllose Opfer leiden müssen oder sogar vernichtet werden. Während der Film im Vergleich zu BLOODY ORANGES an der Oberfläche meist gebremst erscheint – physische Gewaltszenen sind rar – und in mancher Hinsicht fast wie ein Quentin-Dupieux-Werk in etwas weniger absurd, dafür deutlich bösartiger und auch realitätsnäher daherkommt, ist die darunterliegende Botschaft bzw. Weltsicht mindestens ebenso scharf, bitter, hoffnungslos pessimistisch und, seien wir ehrlich, von Abscheu für die heutige Ausprägung der Menschheit erfüllt. Ganz besonders, wenn man selbst mit den passenden Einstellungspräferenzen ausgestattet ist, wird man in PLASTIC GUNS ungemütlich viel Vergnügen finden. Dies dürfte für Kinder des Mutterlands von demokratischer Revolution und Guillotine übrigens noch deutlich mehr gelten als für alle anderen: Nicht nur ist der dem Film zugrundeliegende reale Fall der Morde von Xavier Pierre Marie Dupont de Ligonnès in Frankreich ein massiv größeres Thema als im Rest der Welt. Auch werden hier explizit Franzosen, ihre Behörden und ganz besonders ihre Polizei als, sagen wir es kurz und bündig, unfassbar selbstsüchtige und inkompetente Arschlöcher desavouiert. Wunderschön böse – 7,5 Punkte. | |
D.S. sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt | 22.09.2024, 02:25 |
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