Frontier(s)

Der (Alp-)Traum vom "reinen Blut"

von die_Lachsschaumspeise
Die Story von "Frontiere(s)" ist schnell erzählt und erfindet das Genre des Redneck-Slasher-Movies auch nicht neu: Vier junge Erwachsene aus den Pariser Banlieues wollen sich, nachdem sie bei Ausschreitungen ob der Wahl eines neuen, extrem rechten Ministerpräsidenten ins Visier der Flics geraten sind, nach Holland absetzen. Das kurz vor der Staatsgrenze gelegene Hotel entpuppt sich jedoch als Domizil einer unter der Fuchtel eines Altnazis stehenden Großfamilie, die den Aufenthalt ihrer Gäste gerne auch mal bis in alle Ewigkeit verlängert...

Der Film zitiert also hier zum x-ten Mal das altbekannte "Texas Chainsaw Massacre"-Motiv und hat dabei storytechnisch auch keinerlei großartige Innovationen aufzuweisen. Erfreulicher Weise lässt sich "Frontiere(s)" aber Zeit, bis es so richtig zur Sache geht, und baut so eine recht beklemmende Atmosphäre auf, da wesen zwar die ganze Zeit Hinweise auf das, was hinter der schon beunruhigend genug scheinenden Familien-Fassade wirklich vor sich geht, bekommt, und auch in etwa ahnen kann, wie genau sich dieses letzlich ausbuchstabieren wird - sich aber nie und nimmer die Intensität und das Ausmaß des Terrors und der Qualen, die den Hauptdarsteller_Innen zugefügt werden und die sie durchleiden müssen, vorstellen könnte. Selten musste ein Final Girl so sehr leiden, selten auch spielte die Darstellerin dieses Final Girls so intensiv, glaubhaft und realitätsnah wie hier, und selten gab es ein hoffnungsloseres Ende für ein Final Girl. Denn - das hat Dominic Saxl in seinem Review ja schon sehr schön dargestellt - bei aller (hier beinahe schon comichaften) Überzeichnung der Figuren, vor allem der inzestuös-degenerierten Großfamilie (vor allem des NS-indoktrinierten Patriarchen) - schildert der Film die Auswirkungen der Ereignisse auf die Protagonist_Innen mit einem Realismus und einer Wirklichkeitsnähe, dass EineR_M schon beinahe körperlich schlecht werden kann (die Frau in der Reihe vor mir verabschiedete sich etwa in der Mitte des Films von ihrem Freund und verließ das Kino - kurz bevor es rrrrichtig schrecklich wurde). Da wird auf der Leinwand vor lauter Anspannung und Nicht-Mehr-Können gezittert wie Espenlaub, da steht das Final Girl immer kurz vorm Durchdrehen und / oder Komplett-Zusammenbruch - und genau diese Sequenzen schildert der Film dann eben gerade nicht albern-trashig wie beispielsweise "Texas Chainsaw Massacre", sondern zum Nachempfinden unangenehm, und mit einer Art - ja, nennen wir es ruhig poetischen Mitfühlens und (so seltsam sich das vielleicht jetzt lesen mag) zärtlicher Nähe zu seinen Hauptdarsteller_Innen, die zumindest mir in Redneck-Slashern so bisher noch nicht untergekommen ist. Und gerade deshalb tut’s am Schluss, wenn die wirklich schlimmen physischen Grausamkeiten ausgepackt werden, dann auch noch Mal richtig weh - auch wenn hier wirklich absolut gar nichts neu oder originell daher kommt. "Frontiere(s)" schildert die Torturen seiner Protagonistin aber mit einem dermaßen unverschämten Wechselspiel aus Intimität und Irgendwie-nur-so-Daneben-Stehen, dass das Zuschauen streckenweise wirklich schwer erträgliche Züge annimmt.
Und wie sich einst "Texas Chainsaw Massacre" als Abgesang auf die Ideale der 1960er deuten liess, und Leatherface nicht von ungefähr Gesichtszüge aufwies, die entfernt denen Richard Nixons ähnlich sahen, so ist auch die (zugegeben etwas platt erzählte, dafür aber nicht unwahrer werdende) politsche Botschaft von "Frontiere(s)", wenn auch offensichtlicher, eine recht kritische, indem der Film im Kleinen das Bild eines Frankreichs schildert, wie es aussehen könnte (und stellenweise ja jetzt schon aussieht), wenn ein Rechtsextremist wie Jean Marie le Pen die Regierung stellen würde - ein Frankreich, das Diskriminierung und Terror zu Prinzipien politischen Handelns erklärt, das seine migrantischen und nicht-weißen Mitbürger_Innen wenn überhaupt als Menschen, dann als solche zweiter Klasse behandeln würde, die (metaphorisch) irgendwo zwischen Schweinestall und sozialen Zwängen ihr Dasein fristen dürften, denen elementarste Grundrechte vorenthalten würden, und die in einem Staat gefangen wären, der sie als nicht genuin französisch ansehen und ihnen dennoch die Überschreitung seiner eigenen Staatsgrenzen und damit den Schritt in die eigene, selbstbestimmte Freiheit verunmöglichen würde - indem er selbst die Opfer seiner eigenen Politik noch zu Täter_Innen erklärt (so wie es in den Banlieues ja bereits an der Tagesordnung ist).

Was andere vor drei Jahren in "The Descent" sahen, das sehe ich in diesem Film: Ein kleines (Beinahe-)Meisterwerk, das nichts neu erfindet, aber dennoch so frisch und frei zu Werke geht, als hätte es das Subgenre des Redneck-Slashers gerade eben selbst erst in die Welt gesetzt, das (fast) immer genau den richtigen Ton trifft, und das endeffektiv mit einer Härte und Kompromisslosigkeit loslegt, dass mir beinahe die Spucke wegblieb.
die_Lachsschaumspeise
sah diesen Film im Metropolis 6, Frankfurt

30.03.2008, 14:48



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