Speak No Evil

„Do you feel the shame? Am I only dreaming?“

von Herr_Kees
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Das niederländische Original von 2022 war ein fieser kleiner Psychothriller mit etwas unbefriedigendem Ende, das eine logische Nachvollziehbarkeit dem reinen shock value opferte. Das Remake macht nun einiges besser, auch wenn dabei viel von der unangenehmen Atmosphäre des Originals verloren geht.

Die in London lebenden Amerikaner Ben und Louise werden von ihren Urlaubsbekanntschaften Paddy und Ciara für ein Wochenende auf ihr „Landgut“ eingeladen. Dort beginnt ein Psychospielchen, bei dem das Gästepaar insbesondere von Paddy (James McAvoy) systematisch düpiert und in Verlegenheit gebracht wird. Und dann ist da noch Ant, der stumme Spielkamerad für Töchterchen Agnes, der ihr irgendetwas mitzuteilen versucht.

Besonders subtil oder clever ist SPEAK NO EVIL weiß Gott nicht. James MacAvoy spielt zwar nicht ganz so aufdringlich wie in SPLIT und hat durchaus eine eindrucksvolle Präsenz, aber viele seiner Aktionen wirken seltsam aufgesetzt. Lediglich sein inbrünstiges Mitsingen des Bangles-Hits „Eternal Flame“ mit intensivem Blickkontakt zum verunsicherten Ben ist ein wirklich köstlicher Cringe-Moment.

Für Kenner des Originals wird der Film erst zum letzten Akt so richtig interessant. Wie zu erwarten war, wurde der ursprüngliche Schluss durch ein mainstreamtauglicheres Actionfinale ersetzt, das zwar recht formelhaft daherkommt, aber zumindest mehr Unterhaltungswert hat als das Ende des Ursprungsfilms.

So hat das Remake seine Stärken als unterhaltsamer Psychothriller fürs breite Publikum – aber eben mit der Schwäche der entsprechenden Formelhaftigkeit inklusive Psychologisierung und Showdown.
Herr_Kees
sah diesen Film im EM, Stuttgart

12.09.2024, 00:12


They fuck you up, your mom and dad.

von Alexander
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Okay. Ich versuche jetzt mal objektiv zu bleiben, wobei es für Kenner des Originals grundsätzlich „schwierig“ ist, diesen Film zu bewerten, selbst wenn man, so wie ich, keine Aversion gegen eigentlich überflüssige Remakes hegt.

Ich beneide durchaus alle Filmfestbesucher, die das Original nicht kennen. Für diese dürfte das Remake deutlich überzeugender und intensiver wirken. „Speak No Evil“ ist ganz klar ein guter Film. Und JA, es gibt auch für Filmfreunde, die das Original kennen, in den ersten zwei Dritteln einige wenige Überraschungen, auch wenn die annähernd erste Stunde ansonsten eigentlich, einem Schnittmuster gleich, sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch, der Vorlage fast schon pathologisch Szene-für-Szene exakt folgt.

So begeisterte mich z. B. das ein Zitat aus dem Song „This Be The Verse“ von Dark Wave Künstlerin „Anne Clarke“ stilistisch genial untergebracht wurde, was dem Mittelteil des Films irgendwie zusätzliche Intensität und Tiefe verlieh, was natürlich bei mir, als Fan der Künstlerin, fast für Jauchzen sorgte.

Diese Stilmittel sind allerdings dünn gesäht, und wenn man weiß, worauf das alles hinauslaufen wird, kann die Geschichte einfach nicht die Spannung entfalten, die das Original seinerzeit bei mir auslöste. Das unbehagliche Gefühl von Fremdscham und ganz extremem Unwohlsein transportiert allerdings auch das Remake, auch wenn ich manche Szenen im Original als wesentlich unangenehmer empfand.

Wo die Neuauflage dann leider komplett versagt ist bei dem neu erzählten letzten Teil, nennen wir es mal „Showdown“, der den absolut unerwarteten Schlag in die Magengrube des Originals durch einen eher generischen Erzählstrang ersetzt, der zwar gut gemacht ist, aber bei weitem nicht an die fast schon grotesk überzeichnete Abartigkeit des Originals heranreicht.

Mir fehlte einfach diese absolute Verlorenheit und Hilflosigkeit der Eltern, wenn sie begreifen, dass sie sich offensichtlich in eine ausweglose Situation manövriert haben. Das Remake kratzt nicht mal im Entferntesten an der ultrabrutalen Hoffnungslosigkeit des Originals. Wäre die Neuauflage von „Speak No Evil“ das Original, so hätte der Film mich vielleicht beeindrucken können, denn er ist wirklich gut gemacht. So aber empfinde ich das Erlebnis eher als unnötigen und blassen Aufguss und vielleicht auch enttäuschendsten Eröffnungsfilm der letzten Jahre.
Alexander

15.09.2024, 23:45


Zu gute Unterhaltung

von D.S.
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Bekanntermaßen war der dänische SPEAK NO EVIL das Centerpiece beim FFF 2022, und er war ein ausnehmend ungemütlicher, erbarmungslos kalt gestimmter, trister kleiner Film, der den Betrachter mit einem ganz miesen Gefühl in der Magengegend entließ. Insofern war unter dem langjährigen FFF-Publikum nicht nur einiges Gemurre zu vernehmen, als bekannt wurde, dass das US-Remake des Films gerade einmal zwei Jahre später als Eröffnungsfilm auserkoren wurde. Es herrschte ebenso mindestens Verwunderung darüber, dass ein so schwer zu verdauender, mit einigem inhaltlichen Gewicht versehener Film ausgerechnet unter der Ägide von Jason Blum und Blumhouse Pictures neuverfilmt wurde. Denn seien wir ehrlich: Deren Produktionen sind zwar im Bestfall angenehm unterhaltsam, richten sich aber zum allergrößten Teil eindeutig an ein eher wenig anspruchsvolles Massenpublikum, oft sogar explizit an Jugendliche. Wie sollte das zusammengehen?

Kurz gesagt: Nur, indem das Remake auf Aspekte des Originals verzichtet, die für dessen Wirkung essenziell sind. Damit ist nicht in erster Linie Vordergründiges gemeint, tatsächlich bemüht sich die Neuverfilmung – bis zum komplett veränderten Finale –, dem Handlungsverlauf der Vorlage treu zu bleiben. Was fehlt, ist in weiten Teilen zwischen den Zeilen zu finden. Zur Verdeutlichung, und da es hier um ein Remake geht, nutze ich am besten einfach den Einstieg meines Reviews zum Originalfilm noch mal:

„‚Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt’ – ein Spruch, den vermutlich jede:r kennt, genau wie die zahllosen Aphorismen rund um die Schuld der Gleichgültigen und Wegschauenden, die mehr zum Untergang der Menschlichkeit beitragen als die bewusst Bösen, die unmittelbaren Täter. Der dänische FFF-Beitrag SPEAK NO EVIL setzt derartige Mahnungen filmisch um und holt sie mittels einer konsequent schmerzhaften Erzählung, die direkt aus der gefühlten Lebenswirklichkeit stammt, auf eine Ebene, die noch das ignoranteste Publikum als auch für sich persönlich relevant realisieren können sollte.“

Im dänischen Film trieben die boshaften Gastgeber ihr Spiel mit den höflich braven Gästen langsam auf die Spitze, indem sie deren Angst vor Konflikten ausnutzten und uns damit deren Problematik demonstrierten. Ihre Gäste wehrten sich nicht – bis sie sich nicht mehr wehren konnten. Sie hielten den Mund, statt einen Streit zu verursachen. „Speak no Evil“. All das wird im Remake nicht ansatzweise so eindeutig ausgespielt. Weder zwingt das englische Gastgeberpärchen um einen sehr präsenten, mitunter aber leicht überagierenden James McAvoy seine amerikanischen Besucher so konsequent Anstandsgrenzen verletzend psychisch in die Ecke, noch nehmen jene die Ausfälle der Ersteren so scheu und alles akzeptierend hin. Schon der Titel des Films verliert damit dramatisch an Gewicht, ebenso geht die Aussage (siehe oben, ‚Wer sich nicht wehrt…‘) zu weiten Teilen flöten. Der hier vielleicht entscheidende Dialog des Originals wird im Remake zwar wörtlich (?) wiederholt: „Warum tut ihr uns das an? – Weil ihr uns lasst.“ – aber er kommuniziert nicht halb so viel Wahrheit.

Die Übergriffigkeit der Gastgeber ist hier nicht so ausgeprägt, oder jedenfalls nicht so ausgeprägt schmerzhaft wie im Original. Deshalb wirkt der ab einem gewissen Punkt mehrfach geäußerte Wunsch der amerikanischen Ehefrau Louise (Mackenzie Davis), schnellstens abzureisen, auch nicht so nachvollziehbar wie im dänischen Film. Tatsächlich ist man in diesem Kontext sogar fast geneigt, die Enttäuschung von Paddy (McAvoy) als genuin anzuerkennen, als die Gäste einen Fluchtversuch unternehmen.

Zu schlechter Letzt beschreitet das Ende des US-Films dann gänzlich andere Bahnen als das des Originals. Hier soll natürlich nicht gespoilert werden, deshalb nur so viel: Es nimmt dem Stoff noch einen weiteren Teil seiner Wucht und erlaubt es dem Publikum, ganz Hollywood-typisch, mit einem nicht ganz so schlimmen Gefühl nach Hause zu gehen.

Nicht falsch verstehen: Filmisch ist das Remake von SPEAK NO EVIL über jeden Zweifel erhaben. Und wer das Original nicht kennt, wird meine Kritikpunkte vermutlich kaum nachvollziehen können. Nein, für sich betrachtet, handelt es sich hierbei um einen fiesen, mitunter glatt schockierenden Film – erst recht, wenn man ihn mit sonstigen Blumhouse-Produktionen vergleicht. Er liefert zwar mitunter heftige, insgesamt aber einwandfrei goutierbare Genre-Unterhaltung. Und genau das ist das Problem.

Schade. Von James Watkins, dessen EDEN LAKE ja nun eben auch ein Ausbund an Harschheit ist, hätte man sich einen klügeren, intensiveren, angemesseneren Umgang mit dem Stoff erhoffen können. Von Blumhouse allerdings wohl eher nicht. 5,5 von 10 Punkten.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

19.09.2024, 03:08


Straw Cats

von Leimbacher-Mario
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Die Traumfabrik braucht gefühlt auch immer weniger Zeit, um internationale Hits neu aufzuwärmen und in ihrer Sprache aufzulegen… Vor zwei Jahren erst flimmerte das gleichnamige dänische Original über die Leinwände und ließ mich in einer Mischung aus Begeisterung, Ehrfurcht und Schock zurück. Nun gibt’s schon die englischsprachige und starbesetzte, deutlich leichtere Version. Vom einstigen „Eden Lake“-Schöpfer James Watkins. Ohne den Biss und die Boshaftigkeit seines britischen Debüts oder des Originals - und dennoch gut guckbar. Erst recht für Leute, die die dänische Version nicht kennen. Erzählt wird diesmal von einer amerikanischen Familie, die neu nach London gezogen ist und im Italienurlaub eine weitere, scheinbar coolere Familie aus der englischen Provinz kennenlernen - und sich dazu entscheidet, diese nach dem Urlaub mal zu besuchen auf deren idyllischem Bauernhof. Doch schnell legen diese seltsame, dominante und (passiv-)aggressive Verhaltensweisen an den Tag und lassen den Urlaub schnell ins Ungemütliche oder gar Gefährliche kippen…

Hollywood zieht die Notbremse

Hat Watkins Version Daseinsberechtigung? Ja, meiner Meinung nach schon. Zumindest mehr als das durchschnittliche Remake. Kommt es zu früh? Ja. Ist das Original effektiver und böser? Hell yeah. Aber dennoch hat Watkins Remake Sinn, Verstand, Timing und Zug. Und das reicht mir erstmal als Fan des Originals, das ich jedoch ewig bevorzugen werde. Aber gerade für lesefaule Amerikaner oder Leute, denen das Original unbekannt ist, sollte Watkins Version mehr als gut reingehen. McAvoy darf mal wieder herrlich den Psychopathen raushängen lassen, seine drei Kompagnons machen das ebenfalls tadellos, die Kinderdarsteller sogar auch. Technisch ist das einwandfrei. Und das wesentlich ausgedehntere, kämpferischere Ende ist… anders. Und nicht unintensiv, so ist es nicht. Da zitiert Watkins konsequent von Peckinpah bis Fulci alles, was ihm unter die Nase kommt. Es könnte sogar einigen Kritikern des unrealistischeren Shock Value-Originals richtig gut gefallen. Daher passt das alles schon. Und dennoch bleibt bei mir ein bitterer Beigeschmack nicht aus. Dazu war das dänische Pendant einfach viel bitterer und kälter, viel abgestumpfter und böser, viel ungeschliffener und giftiger. Ich stand unter Strom, ich wusste nicht was kommt, ich lachte (!) lauter, das Lachen blieb brachialer im Hals stecken, ich hatte Angst - hier war ich gut unterhalten. Und das ist ein himmelweiter Unterschied. Beides hat seinen Platz in der Filmwelt. Aber Watkins amerikanische Version ist ohne Wenn und Aber einfach viel domestizierter. Und ich finde sogar, der eigentliche Kern der Geschichte, über das Zulassen des Bösen, über behindernde Manieren und das viel zu rar geworfene „Nein!“, kommt ebenfalls im Original besser rüber. Es ist europäischer, es ist schmutziger, es ist ausgetüftelter. In diesem „Speak No Evil“ (spürbar von Blumhouse produziert) geht man selten dahin, wo sowohl gesellschaftlich, wie psychologisch und elterlich als auch körperlich weh tut.

Fazit: Wesentlich glatteres, direkteres, wärmeres und zugänglicheres Remake mit einem tollen, biestigen McAvoy und einem gelungen, geänderten Belagerungsfinale wie im Survivalterrorkino der 70er. Ich bleibe jedoch beim dänischen, spannenderen und deutlich (gewollt-)schockierenden Original. Watkins macht aber fast das Beste draus.
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

19.09.2024, 12:10




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