crazy

Steppenwolf

Born to be wild

von Herr_Kees
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Adilkhan Yerzhanovs Film beginnt mit einem Hermann Hesse-Zitat und verweist gleich mit einem seiner ersten (und letzten) Bilder auf John Fords THE SEARCHERS. Ganz schön große Fußstapfen, die in den nächsten 100 Minuten nicht mal ansatzweise gefüllt werden.

In einer unbestimmten Endzeit hängt sich eine verstörte junge Frau an einen brutalen und korrupten Polizisten, um ihren vermissten Sohn zu finden. Dieser lässt sich widerwillig darauf ein, verfolgt jedoch eine eigene Agenda: Er will sich am Gangboss Taha für den Tod seiner Familie rächen.

„We‘re all humans“, sagt einer, der mit seiner Truppe gerade dutzende Menschen erschossen und hingerichtet hat. „Good is necessary“, sagt die Frau gegen Ende. Mehr Botschaften hat der Film nicht anzubieten. Nur mehr Zynismus, verkörpert vom quasi namenlosen „Helden“, der alles niederschießt, was sich ihm in den Weg stellt.

STEPPENWOLF ist MAD MAX ohne Stunts und FOR A FEW DOLLARS MORE ohne Soundtrack und ohne Sympathie für seine Hauptfigur (trotz des charismatischen Darstellers). Ein Film mit großen Ambitionen und viel zu geringen Mitteln, der nichts zu sagen hat, wo es dringend nötig wäre.
Herr_Kees
sah diesen Film im EM, Stuttgart

18.09.2024, 23:54


Love is a Battlefield

von Leimbacher-Mario
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Genau wegen solchen bitterbösen Grenzgängern und Edelexoten gehe ich auf das Fantasy Filmfest… Eine kasachisch-nihilistische Rachegeschichte, the real deal. Anfangs wird wunderbar „The Searchers“ zitiert, eine (minderbemittelte, aber herzensgute) Frau auf der Suche nach ihrem kleinen Sohn. Im Verlauf entwickelt sich alles zu einer karg-grandiosen Mehr-als-nur-Schlachtplatte, wenn die extrem stotternde Mutter „Hilfe“ in einer Welt voller Gewalt und absolut gar nichts mehr zählenden Menschenleben von einem ehemaligen Polizisten bekommt, der selbst ein blutigstes Hühnchen zu rupfen hat mit den Entführern, Kinderhändlern, Gangstern und Militärs…

Kasachstan am Ende der Welt … und Menschlichkeit

„Steppenwolf“ ist ein unbarmherziges und doch nicht hoffnungsloses Vieh von Film. Kasachstan als kriegsverrohter Dreckfleck. Im Grunde klar schon Endzeit und nicht weit weg von Mad Max' Jagdgründen. Nur um im nächsten Momenten einen „Antihelden“ einzuführen, der in Hollywood selbst für die Bad-Guy-Rollen noch zu hart wäre. Die junge Mutter (und Hure?) macht mich sprachlos, sie löste unendlich viel Mitleid und Beschützerinstinkt aus. Ihr „Retter“ und umgekehrter Todesengel ist ein Wolf im Wolfspelz - und doch die einzige, klitzekleine Möglichkeit ihren Sohn zu finden. Lebendig oder tot. Die kasachischen Landschaften sind nicht minder atemberaubend und stehen selbst großen (!) amerikanischen Western in Nichts nach. Naturgewordene Menschenfeindlichkeit. Der synthwavig-wuchtige (!) Score („Drive“ lässt hier überraschend grüßen!) ist ein wahnsinniger Kontrast - und dann doch irgendwie auch ohne Neonlichter und Femme Fatales wieder nicht. Ein weiterer Geniestreich. In einem Film voller kleiner, grandioser Details und mutigen Einfällen, sogar übernatürlich-religiösen Streifschüssen. Der Bodycount ist massiv, Mysterien werden genau richtig nicht erklärt oder verklärt, die Atmosphäre ist fast erdrückend, es gibt Ruhe aber keine Längen. Man muss sich das mal vorstellen, wie da einer in Kasachstan sitzt, bei den Besten abguckt und sich dieses Stück dreckigster Kinomagie aus einem kargen Fels schält. Ihr merkt es - ich bin restlos begeistert und hoffe sehr, dass „Steppenwolf“ seine wohlverdiente größere Beachtung oder zumindest Betrachtung erfährt. In einer fairen Welt wäre „Steppenwolf“ ein Hypefilm. Vielleicht nicht unbedingt Werbung für Kasachstan - aber Kasachstans Filmlandschaft und rohen Talente! Sollte also irgendwann eine „Hotline Miami“-Verfilmung kommen, sollte Hollywood diesen komplizierten Namen ernsthaft lernen: Adilkhan Yerzhanov! Ich meine das ernst!

Fazit: Eine echte Entdeckung aus Kasachstan und einer der garstigeren Genrebastarde seit Ewigkeiten. Ein wüster Western-Neo Noir-Grindhouse-Kriegs-Revenger. Heilig und heftig. Zugleich menschenverachtend sowie mit Herz. Tierisch gut. Tarkowsky, Ford, Refn, Jodorowsky… Muss man erstmal in Kasachstan abliefern… „Steppenwolf“ ist ein Biest!
Leimbacher-Mario
sah diesen Film im Residenz, Köln

25.09.2024, 19:31


Wuchtig statt wichtig

von D.S.
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Adilkhan Yerzhanovs neuester Film bezieht sich explizit auf das wohl bekannteste Werk Hermann Hesses – nicht nur durch seinen Titel, sondern auch durch ein gleich zu Beginn eingeblendetes Zitat aus dem Roman. Nun ist es leider viel, viel zu lange her, dass ich „Der Steppenwolf“ gelesen habe, aber Wikipedia sagt: „(Der Protagonist) leidet an der Zerrissenheit seiner Persönlichkeit: Seine menschliche, bürgerlich-angepasste Seite und seine steppenwölfische, einsame, sozial- und kulturkritische Seite bekämpfen sich und blockieren (seine) künstlerische Entwicklung. Der Weg der Heilung ist die Versöhnung beider Seiten im Humor, im Lachen über sich selbst und über das Ungenügen in Kultur und Gesellschaft. (…) (Er) erlebt sich als „Steppenwolf“, als ein Doppelwesen: Als Mensch ist er Bildungsbürger, an schönen Gedanken, Musik und Philosophie interessiert, hat Geld auf der Bank, ist Anhänger von bürgerlicher Kultur und von Kompromissen, Träger bürgerlicher Kleidung und mit normalen Sehnsüchten – als Wolf ist er ein vereinsamter Zweifler an der bürgerlichen Gesellschaft und Kultur, der sich für „ein den Bürgern überlegenes Genie“, einen Außenseiter und politischen Revolutionär hält.“

Entsprechende Züge, selbst eine entsprechende Zwiegespaltenheit mag man dem Protagonisten des Films kaum zugestehen. Brajyuk arbeitet für die Polizeibehörde der im Lande herrschenden Semi-Diktatur – und zwar als wegen seiner Gnadenlosigkeit gefürchteter Experte für Folter, die aus den Opfern die gewünschten Aussagen herauspresst. Er lässt weder eine bürgerlich-angepasste Seite noch Humor oder gar Interesse an Kultur erkennen. Allerdings auch keinen „Zweifel“ an der bürgerlichen Gesellschaft oder den Anspruch, ihre Avantgarde zu sein. Vielmehr treibt ihn offenkundig nur Eines an: die Sehnsucht nach Rache an einem Mafiaboss, der einst seine Frau und Tochter brutal ermordete. Als die geistig gehandicapte Prostituierte Tamara ihn bittet, ihr bei der Suche nach ihrem entführten Sohn Timka zu helfen, nutzt er die Jagd auf die Verantwortlichen für einen Rachefeldzug, der vor keinerlei Grausamkeit haltmacht.

STEPPENWOLF zeigt die zum Anfang der 2020er-Jahre von Unruhen erschütterte Präsidialrepublik Kasachstan als ein Land der Gesetzlosen, indem auf den Straßen pure Anarchie herrscht. Hier gilt das Recht des Stärkeren, jeder ist korrupt, jeder ist ohne Zögern bereit, den anderen zu erschießen, wenn er sich davon nur irgendeinen Vorteil verspricht. Dieses apokalyptische Wasteland in der endlosen Steppe wird schon in den ersten Minuten ohne jede Anlaufzeit so unmittelbar als hoffnungs- und freudloses Schlachtfeld eines Bürgerkriegs von jedem gegen jeden inszeniert, dass nicht der geringste Funke eines Glaubens an Humanismus, ein Miteinander, auch nur eine entfernte Normalität des menschlichen Daseins Platz findet. Hier herrschen Hass und Brutalität – sonst nichts.

Und da passt Brajyuk perfekt hinein. Er ist eine Mordmaschine, die keine Skrupel hat, sich feige hinter anderen zu verstecken oder Wehrlose hinterhältig um die Ecke zu bringen. „Antiheld“ wäre eine viel zu positive Umschreibung, „amoralischer Bastard“ wohl treffender. Nichts­des­to­trotz wird er uns hier als Identifikationsfigur vor die Nase gesetzt, und aus Mangel an anderen muss man ihn wohl als solche akzeptieren. Vor allem, da er, Klischee sei Dank, den edlen Helden männlicher Gestalt spielen darf: Auch, wenn Tamara als unerträglich dumme, langsame, anstrengende Figur gezeichnet wird – was den Film selbst übrigens auch mitunter äußerst anstrengend macht und dafür sorgt, dass er immer wieder zäh wie Kaugummi wirkt, denn die Gute stammelt ihre Wortfetzen immer hundertfach vor sich hin, Brajyuk muss ihr selbst die simpelsten Ansagen ein dutzend Mal am Stück wiederholen –, lässt er sich doch heroisch dazu hinreißen, ihr zu helfen und seine Selbstsucht ihr zuliebe zu überwinden. Toller Typ, dieser Typ. Und so killt er dann radikal vor sich hin. Was weniger episch als schmutzig und schmerzhaft dargeboten wird. Mit wirklich starken Bildern. Hinter denen allerdings ein Inhalt steckt, den man schon hundertfach gesehen hat und der in seiner Aussage bzw. seinen Implikationen zu allermindestens plump ist, wenn nicht gar von vorvorgestern. Der Synthie-Score klaut derweil von DRIVE und erzeugt zwar Atmosphäre, wirkt aber nicht immer passend. Punkige Sounds wären vielleicht stimmiger gewesen.

Wuchtig, aber nicht wichtig: STEPPENWOLF ist visuell einnehmend sowie gewalttätig ohne Gnade und erreicht darüber eine Wirkung, die unter die Haut geht. Die hier gezeigte Welt ist Endzeit pur, ihre Bewohner sind ausnahmslos verachtenswert. Leider gilt das aber auch für unseren Protagonisten, dessen Niederträchtigkeit und Machismo uns durch die Erzählung am Ende als geradezu ehrenwert verkauft werden. So verbleibt man als Betrachter mit einem gespaltenen Gefühl. Die Action ist mitreißend bis schockierend, die Story aber platt, die Charakterzeichnungen sind nahezu lächerlich flach. Wer schlichte, harte Heldengeschichten mag, wird hiermit vermutlich glücklich werden. Alle anderen fragen sich weiter, worin genau wohl der Bezug zu Hermann Hesse bestehen mag. Nur 6 Punkte, der (visuellen) Kunstfertigkeit zum Trotz.
D.S.
sah diesen Film im Harmonie, Frankfurt

26.09.2024, 23:44




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