Hochästhetische, beklemmende Traum-Explorationvon D.S. | |
Verfallene Gemäuer, düstere Höhlen, ein langer Tunnel, immer wieder eine geheimnisvolle Tür, hinter der ein gesichtsloses, schattenhaftes Monster mit glühenden Augen wartet: Die Orte, an die Sarahs Träume sie führen, sind keine, die man gerne besuchen möchte. Kein Wunder also, dass die zerbrechliche Teenagerin (Julia Sarah Stone, THE KILLING) ernsthafte Schlafprobleme entwickelt hat – und mit ihren handtellergroßen Augenringen nur zu gerne die Möglichkeit wahrnimmt, an einer Schlafstudie der lokalen Uni teilzunehmen, die sich der REM-Aktivität widmen soll. Zunächst scheint ihr die bewachte Nachtruhe rundum gut zu tun, sie erwacht erholt und erleichtert. Schnell jedoch nehmen die Dinge eine Wendung: Ihre Albträume kommen zurück, aber nicht nur das, sie werden bedrohlicher, lebensechter. Und ganz offensichtlich geht das auch den anderen Teilnehmern an der Studie so. Steckt diese vielleicht selbst hinter ihren Erlebnissen? Was wird mit den Probanden tatsächlich gemacht? Sarah versucht, von Jerry aka „Riff“, dem Leiter des Experiments (Daniel-Radcliffe-Lookalike Landon Liboiron, TRUTH OR DARE) mehr in Erfahrung zu bringen – der sich allerdings zunächst mal als ein creepy Stalker entpuppt hat. Und welche Rolle spielt der direkt aus einem Cronenberg-Werk entsprungen scheinende Professor im Hintergrund (Christopher Heatherington, JOHN, 316)? Ein Gutteil dieser Fragen wird vom Film nicht wirklich klar beantwortet, daneben gibt es immer wieder Handlungsstränge, die sich irgendwo verlieren und nicht weiter verfolgt werden … ganz bewusst. Denn COME TRUE ist statt eines plotgetriebenen Horrorfilms in erster Linie ein Experiment in Ästhetik und Atmosphäre, das versucht, die Essenz von Traumerleben und -logik auf die Leinwand zu bannen. Demzufolge legt er auch weniger Wert auf hohes Tempo und ein großes Maß an Action oder Jump-Scares als vielmehr auf das Erzeugen eines dräuenden Gefühls von Beklemmung. Mit seinem sphärischen 80s-Synthie-Score und der neon-blassen Farbgebung gelingt ihm das ausnehmend gut, als Zuschauer fühlt man sich selbst bald leicht desorientiert und entfernt von rationalem Erfassen des Geschehens. Natürlich ist dies nicht der erste Film, der sich dem großen Mysterium der Träume zu nähern versucht, und fast folgerichtig sind zahlreiche Reminiszenzen an Werke anderer Regisseure zu erkennen – angefangen von Buñuel bis hin zu Tarsem Singh (THE FALL und THE CELL), dessen Arbeit offensichtlich für die bizarren Traumlandschaften Pate stand, die stellenweise aber auch an die SILENT HILL-Spiele erinnern. Der sonstige Look und Klang des Films hingegen wirkt mitunter deutlich inspiriert von der Ästhetik Nicolas Winding Refns; mit seiner melancholischen Grundstimmung, einem überwältigenden Gefühl von Fragilität und nicht zuletzt auch seinen vielen stylischen Nachtaufnahmen leerer Straßen in den Suburbs wiederum ruft er ein ums andere Mal ebenso IT FOLLOWS in Erinnerung. Dass sich COME TRUE dabei nicht nur wie ein großes Zitate-Raten anfühlt, verdankt er einerseits dem großartigen Spiel seiner Hauptdarstellerin, welche die Gefühlszustände ihrer Figur jederzeit intensiv und vollständig glaubwürdig herüberbringen kann. Andererseits vermittelt er trotz seiner so träumerisch unkonkreten, manchmal schier ziellos dahinzutreiben scheinenden Handlung ein merkwürdiges Gefühl von Geschlossenheit – wie das Eintauchen in die bizarre, formenlose, dennoch unheimlich präsente Welt eines ausschweifenden Albtraums. Was der Geschichte und insbesondere den Figuren an Tiefe mangelt, macht der Film nicht unbedingt durch den oberflächlichen Einbau von C. G. Jungs Archetypen-Terminologie als Kapiteltrenner wett – wohl aber durch seine stillvolle Bild- und Tongestaltung, seine überwältigende Atmosphäre sowie einige wirklich beängstigende Visuals. Regisseur Anthony Scott Burns, der bislang nur durch seinen ähnlich dicht inszenierten Beitrag „Father’s Day“ zur HOLIDAYS-Anthologie sowie den eher mittelmäßigen Netflix-Horror OUR HOUSE in Erscheinung getreten war, hat hier ein unbedingt bemerkenswertes Stück abgeliefert, das sich aller Zitate zum Trotz sehr eigenständig und ungewöhnlich anfühlt. Umso beeindruckender ist dabei, dass ihm dies mit deutlich kleinem Budget und minimaler Crew gelungen ist – er selbst verantwortet hier etwa in Personalunion nicht nur Regie und Drehbuch, sondern auch Kamera, Schnitt und sogar den Score. Als Executive Producer ist übrigens unter anderem Vincenzo Natali (CUBE) mit an Bord. Für erhebliche Diskussionen sorgen dürfte allerdings die Auflösung des Films, die man nur lieben oder hassen kann – für mich persönlich sorgt sie für eine deutliche Abwertung. Alleine schon, um mitreden zu können, sollte man COME TRUE aber trotzdem nicht verpassen. | |
D.S. | 17.06.2021, 21:31 |
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